Dienstag, 27. September 2022

16. Etappe: Happy Birthday

 Heute hat Holger Geburtstag und ich habe den Wirt um einen kleinen Kuchen, Kerzen und sparkly wine gebeten. Als wir sitzen kommt er mit einem kleinen Zitronentarte dekoriert mit 6 Kerzen herein. Die Überraschung ist gelungen. Holger pustet die Kerzen aus, aber sie gehen immer wieder an. Wir amüsieren uns köstlich, denn selbst mit Spucke gelöscht, brennen sie wieder auf. Dazu wird uns ein Glas süßer, alkoholfreier Cidre kredenzt. Fein, mit 60 darf es alkoholfrei sein.🤣



Wir starten in einen wolkigen, windarmen Morgen und laufen zuerst zur Kirche. Leider ist innen nicht viel zu sehen, da sie gerade saniert wird.




Dann geht es wieder über weite Felder und wir hängen unseren Gedanken nach.



Langsam versucht sich die Sonne durchzusetzen, doch der aufkommende Wind jagt die Wolken immer wieder davor.



Mitten im Nirgendwo überholt uns ein junger Pilger und fragt nach dem wohin und woher. Als wir Deutschland sagen, freut er sich und schwenkt sofort auf deutsch um. So gehen wir ein Stück mit Alex, 26, lange 1.98 m hoch, geboren in  Krems an der Donau, gemeinsam und unterhalten uns angeregt. Er hat sich ein Jahr Auszeit genommen,  um zu suchen oder zu finden...Sein Medizinstudium darf warten. Er lief von Wien nach Paris und wollte sich da niederlassen, aber nach 4 Monaten fühlte es sich immer noch nicht richtig an. Deshalb hat er beschlossen nun nach Finisterre zu laufen und dann weiter zu schauen...Diese jungen Leute! Einfach schön soviel Entdeckerdrang ausleben zu können. 

Nach einer Pause, bei der wir unseren Proviant teilen, verabschieden wir uns, denn Alex möchte schneller laufen, um seine Wirtin nicht warten zu lassen. Wie sehen ihn in der Ferne verschwinden und laufen unseren Stiefel. 


Plötzlich sind wir verwirrt, denn die Pfeile haben uns an gesperrte Wege geführt. Wie wir noch nach einer Lösung schauen, steht Alex plötzlich hinter uns und meint, wir sind falsch. Er hat uns aus der Ferne gesehen und ist extra zurückgelaufen, um uns zu helfen. Wie süß von ihm. Wir folgen ihm zum Ortsanfang und verabschieden uns noch einmal. Doppelt hält besser. Wir tauschen die Telefonnummern und ich bitte ihn, ein Bild vom Kilometer 0,00 mir zu schicken, wenn er ankommt.

Wir schauen, wo unser heutiges Chambre ď hôtes ist und sehen, dass der eigentliche Weg uns im Bogen über Felder ins Stadtinnere gebracht hätte. Also ganz verkehrt waren wir doch nicht.


Das office de tourisme hat heute geschlossen und so gehen wir zu unserem Zimmer. Ein älterer Herr lässt uns ein und wir gelangen in ein schlossähnliches Museum. Mann oh Mann, was hier alles rumhängt  und rumsteht. Ein Sammelsurium aus Kunst und Kitsch! Hier möchte ich nicht staubwedeln müssen. Wir sind immer wieder erstaunt, was sich in manchen Leben anhäuft und ich bin so froh, dass Holger kein Sammler ist und wir uns auf recht klarer Linie wohlfühlen.

Auch in unserem Zimmer hängen mehr Bilder,  als in unserem ganzen Haus. Ein Himmelbett lässt uns auf eine gemütliche Nacht hoffen, auch wenn vor dem Fenster Verkehr ist. Die Dusche ist groß,  modern und heiß. Für mich das wichtigste nach wieder fast 25 Kilometern.

Nach einer Pause gehen wir zur Ortsbesichtigung. Doch zuerst gibt es ein pain au raisin auf die Faust. Der Ort hat einige große,  historische Gebäude, aber der einsetzende Regen lässt uns schneller werden.

         Rathaus 
         Sollen municipale....Versammlungssaal der Kommune

                  Stadthaus

Wir laufen zur Abbaye Saint Jean Baptiste de Saint Angely und zünden in der dahinter liegenden Kirche eine Kerze an.
Wir danken für den Weg, der uns hierher geführt hat. Für etwa 440 Kilometer Pilgerweg, in 16 Etappen, für das Wetter, dass immer trocken blieb, von heiß bis stürmisch, für die vielen neuen Eindrücke und das wir es geschafft haben: ohne Blasen und Wehwechen.  Die neuen Schuhe haben sich gelohnt!






Ja, heute beenden wir unsere Pilgertour, denn Holger hat einen Wunsch an seinem Geburtstag: Einmal das Meer sehen! 
Wegen Corona, Umzug und Pilgerreise ist es schon eine Ewigkeit her, dass wir das Meer rauschen hörten.
Deshalb fahren wir morgen mit dem Zug nach La Rochelle, haben ein Appartement für 3 Nächte gebucht und erholen uns noch bis Samstag am Meer. Dank Internet war alles innerhalb einer Stunde beschlossen und gebucht. Danach werden wir mit dem Zug nach Leipzig zurückkehren.

Saint Jean ď Angelique ist ein guter Ausgangsort, um eventuell anzuknüpfen und nach Saint Pied de Port zu laufen, da es hier einen Bahnhof gibt.

Unser heutiges, kurzes Fazit bei einem Bier in der Bar ist: Ich würde gern noch weiterlaufen und Holger freut sich wieder auf sein normales Leben.😇



Holgers Geburtstag lassen wir in einer Crêperie bei Galettes und Crêpes ausklingen.


Hier geht es weiter, sobald wir/ ich wieder der Muschel und gelben Pfeilen hinterher laufe/n.

Bis dahin! Gute Nacht!



Montag, 26. September 2022

15. Etappe: Viel Wind

 In dem riesigen Bett schlief es sich herrlich und das Frühstück war phantastisch. Es gab sogar " Hagelslag" - Schokostreusel, wie in Holland üblich. Dazu ein sehr nettes Gespräch mit unserem Gastgeber, Café au lait: Herz was willst du mehr?

Zuerst führt uns der Weg zum Office de tourisme,  weil wir wieder ein Stück mogeln müssen, da das Bett auch heute weit weg steht.


          So sieht es im Office de tourisme aus.

Die Ernüchterung kommt, denn der einzige Bus fährt erst nach 12 Uhr. Solange wollen wir nicht rumsitzen und so schauen wir auf die Karte und finden Abkürzungen zum offiziellen Weg über kleine Landstraßen und Feldwege.

Das Wetter ist heute frisch, doch noch sehen die Wolken freundlich aus.


        Was ist mit der Freiheit passiert?

So laufen wir wieder durch herrliche Weite und ich genieße jeden Schritt und bin dankbar, dass ich es kann. Wie wunderbar funktioniert doch der menschliche Körper. Eine Marsch- Maschine 😄.

Wir kommen etwa zeitgleich mit dem Bus in Brioux- sur- Boutonne an. Es ist Zeit für eine Pause. Wir finden eine Boulangerie und Holger ist sehr erstaunt, dass ich der Verkäuferin auf Französisch klar machen kann, dass ich den größeren der beiden Brownies möchte. Sie versteht es, lacht und packt den größeren ein. Also beim Essen kann ich mich verständigen😉.
Wir setzen uns vor die verschlossene Kirche und der Wind wird stärker. Er treibt eine dunkle Wolkenwand auf uns zu.
Der Weg ist immer noch zu weit und so probieren wir es noch einmal mit dem Daumen im Wind. Leider hat heute keiner Mitleid und ich singe mit abgewandeltem Text: Und dann fahren sie vorbei, an ihren Senioren und haben 1 und 2 und 3 Plätze frei...(  Das Lied von Karusell- Autostopp).
Da wir glücklos sind, ruft Holger bei dem hiesigen Taxiunternehmen an. Kurz darauf kommt das Taxi und wir fahren bis La Villedieu. Die Taxifahrerin staunt, dass ich noch laufen will, aber was muss, dass muss!
An der Kirche lässt sie uns aussteigen und wir schauen kurz rein, bevor wir dem Chemin de Compostelle noch 7 km bis nach Aulnay folgen.
Am Weg sind schöne Sandsteinsäulen mit Richtungspfeilen, welche mich sehr an den Camino in Spanien erinnern.



Wir laufen über weite Felder und der Wind nimmt zu. Die Wolken werden schneller und Holger auch. Er befürchtet, dass ihn ein Baum erschlägt und er seinen 60. Geburtstag nicht mehr erlebt. Ich verspreche ihm, dass ich die Ambulance rufe und sie bitte ihn bis morgen zu beatmen, damit er seinen Geburtstag erlebt.🙈. Holger liebt diese, meine Art von Humor.😇
Einen ganz kurzen Moment sprüht es ein wenig, aber der Schutzpatron der Pilger ist bei uns.
Dann sind nur noch Wind, Felder und wir....wunderbar.





In Aulnay finden wir eine hübsche, kleine, fast schmucklose Kirche, in die wir eintreten.




Nun laufen wir zu unserem heutigen chambre ď hôtes. Der Gastgeber begrüßt uns mit einem Glas Rosé und einem Stück Feigenkuchen, der wie holländisches Honigbrot schmeckt.
Holger fragt ihn woher er kommt, denn sein Französisch ist nicht sehr gut, sein Englisch versteht er besser. Aus Australien - Melbourne! Wow, aus einer Millionenstadt in einen 1500 Einwohner- Ort. Das ist krass. Die Erklärung ist einfach, der Grund ist die Liebe!
Die Eltern seines Mannes, Engländer, sind vor 33 Jahren aus Südafrika nach Frankreich ausgewandert und haben dieses chambre ď hôtes eröffnet. Die Frau ist gestorben und der Mann hat seinen Sohn gebeten zu übernehmen. So sind sie vor 4 Jahren hierher gekommen. Was für ein Schritt! Sein persönlicher Jakobsweg, wie er sagt.
Wir können noch Abendessen bestellen  was super ist, denn im Ort gibt es nur eine Bar.
So haben wir drei lange Stunden zum Ausruhen. Inzwischen regnet es draußen und wir sind im Trockenen. Perfekt.



Sonntag, 25. September 2022

14. Etappe: Alte Tramper

 Holger hat heute morgen, Sonntag, die Ruhe weg, braucht für alles eine gefühlte Ewigkeit und so starten wir erst kurz vor 10 Uhr. Direkt vor unserer Tür ist heute "Brocante", der sich durch das ganze Dorf zieht.



Wir schauen uns die riesige Kirche an und sind beeindruckt.



Bei der Boulangerie kaufen wir uns die Standardteilchen für den Weg und stellen uns dann mutig an die Ausfallstraße nach Chenay, um per Anhalter einen Teil der Kilometer zu bewältigen, denn 40 km sind für uns mit Rucksack nicht zu schaffen. Irgendwie haben wir kein Glück.


Also laufen wir den Pilgerweg und als wir auf ein kleines Dorfsträßchen stoßen, probieren wir es noch einmal mir dem Autostopp. Diesmal klappt es und ein Ehepaar in unserem Alter nimmt uns bis zum nächsten Ort mit. Von da laufen wir durch Felder. Es ist, wie gestern, leicht bewölkt und nur etwa 20°C warm, was angenehmes Laufen bedeutet.



In Chenay setzen wir uns zur Pause und rechnen die Kilometer zusammen. Zwölf sind wir gelaufen und jetzt sind es noch 23 km, also immer noch zu viel. 

Im Ort ist alles zu: Kirche und Hotel! Es fahren ein paar Autos durch, aber Einwohner sind nicht zu sehen.

Wir stellen uns an die D 950 und da diese einen breiten Grünstreifen hat,  gehen wir es dynamisch an. Laufen und Daumen raus, wenn ein Auto kommt. So kommen wir ein ganzes Stück vorwärts, bevor tatsächlich ein Pärchen Ende 30 hält und uns mitnimmt. Sie fahren über Melle, unserem heutigen Ziel, hinaus, doch wir lassen uns schon in La Barre absetzen, denn den Rest können wir laufen. 

Es geht auf fußfreundlichen Feldwegen vorwärts und wir fragen uns, was die Leute denken, wenn sie uns mit Daumen raus an der Straße stehen sehen: Die haben es zu nix gebracht? Holen Sie Ihre Jugend nach? Oder die haben die Zeit verpennt? Es fallen uns noch mehr Möglichkeiten ein und wir amüsieren uns gut darüber.

Ich finde wir sehen vertrauenswürdig aus: Holger mit seinem Strohhut erinnert mich an den Scheuch aus dem Zauberer der Smaragdenstadt. Als Elli gehe ich nicht mehr durch, aber vielleicht als nette Alte.

Für mich steht fest, ich würde auch heute noch, wenn wir ein Auto hätten, Leute mitnehmen. Wir erinnern uns, wen wir alles aufgelesen haben. Selbst im Wohnmobil haben wir Platz gemacht, um jemanden mitzunehmen. Nie haben wir schlechte Erfahrungen gemacht. Mit Mitfahrzentrale und Bla- Bla-car haben sich die Zeiten geändert und wir sehen kaum noch irgendwo Tramper.

Mit diesen Gedanken läuft es sich flott durch die Natur.



Nach 24,6 km kommen wir doch schließlich in Melle an und suchen unser chambre ď Hotes. Ein teilweise, behutsam- schön saniertes, altes Haus, dass ein holländisches Männerpaar eröffnet hat. Das Zimmer ist eine gelungene Kombination aus alt und neu. Die dezente Wandfarbe passt wunderbar zu dem großen Blumendekor auf Sessel und Teppich. Der Hit ist aber tatsächlich die alte, wunderbar erhaltene Stofftapete im WC. 





Auf einem grellgrünen Stuhl hat sich ein grüner Gast eingeschlichen.



Wir entlassen ihn in die Freiheit, machen uns frisch und ruhen aus, bevor wir in den Ort zum Essen gehen. 

Das erste uns empfohlene Restaurant hat heute nur Küche außer Haus, im Zweiten ist die Bedienung überfordert, so gehen wir wieder und landen bei " Papa Tino" und Pizza, die sehr lecker ist.