Dienstag, 7. Mai 2024

Ich bin im Flow

 Nach einer wirklich erholsamen Nacht, ich lerne mit Ohrstöpsel zu schlafen, stehe ich früh auf und starte kurz nach sieben. Es regnet und so ist das Regencape dran. Die Bars sind noch geschlossen und so laufe ich aus Deba hinaus und es geht gleich steil bergauf.

Ich überhole ein paar Pilger und muss auf den Weg achten, denn es ist richtig matschig und rutschig. Ich bin dankbar für meine Stecken, denn die bewahren mich heute öfter vor dem Sturz.


Vor mir liegt eine lange, anstrengende Etappe. Es geht ständig bergauf und kaum bin ich oben, geht es wieder runter. Sehe ich um eine Bergkuppe einen Weg am Hang entlang, gibt es sicher einen der bergauf führt und das ist meiner. Es gibt tatsächlich auf 28 km nur eine Passage etwa 1 km lang am Hang. 



Die Landschaft ist wunderschön und sieht dem Voralpenland ähnlich. Herrliche Bergwiesen mit Mageriten, Akelei, Rotklee, Männertreu und viel mehr auf denen Esel, Pferde, Schafe oder Ziegen stehen. 


Dnach geht es durch einen ersten Eukalyptus - Wald und die Blätter rascheln im Wind.

Auf einem Hang blühen riesige Ginsterbüsche sattgelb und ich bin total Happy, dass ich hier laufen kann. Inzwischen ist der Regen vorbei und in einem kleinen Weiler, vor dem Friedhof esse ich eine Nektarine und meinen letzten Müsliriegel. Langsam ziehen die Wolken ab und die Sonne lugt hervor.

In einem Garten stehen riesige Palmen, Zitronenbäume und Orangenbäume, deren Zweige sich mit großen Früchten zu Boden neigen. Leider zu weit weg vom Zaun.

Ich sehe weit und breit keinen anderen Pilger und bin mir nicht sicher, ob ich vom Weg abgekommen bin. Doch dann sehe ich ein Zeichen. Ich habe den Weg für mich alleine, obwohl doch sehr viele Pilger unterwegs sind.

Ich kürze an einer Stelle den Weg über die Straße ab, da es steil bergab auf sehr schmierigen Untergrund geht. Später laufe ich etwas länger und höher über eine Straße, weil es dort sehr nass und matschig nach unten geht.

Eine Strecke ist erst schmierig und an der steilsten bergab Passage wurden fast faustgroße Schottersteine abgeschüttet, sodass ich nur in Kaffeebohnen laufen kann, um zu schauen, ob der Tritt fest ist oder ich mir die Haxen brechen kann.


Kurz vor Markina- Xemein treffe ich Florine und wir laufen gemeinsam in den Ort. In der Info gibt es den Stempel und es wird uns auch gleich der Weg zur Bar erklärt. Unterwegs unterhalten wir uns über Bücher und Kunst. Es klappt mit Englisch und wo es nicht reicht mit Pantomime.


Mit Kaffee con leche und Tortilla pausieren wir in der Sonne, bevor der letzte Abschnitt, wieder auf und ab auf rutschigen Wegen in Angriff genommen wird. An einem Wasserhahn steht plötzlich ein großer Hund neben uns, der uns nun begleitet bis zum Ende unserer Etappe. Wir versuchen ihn erfolglos zurück zuschicken. Erst am Kloster schafft es ein Angestellter, ihn zu vertreiben.


In der Klostermauer ist die Herberge in zwei rustikalen Räumen untergebracht. Es gibt Abendessen im Kloster und für das Frühstück steht alles im Schlafraum bereit. 




Die Dusche ist heiß, die Sachen hängen im Wind und auch diese Herberge ist am Abend komplett voll.

Meine Schuhe zeigen schon nach den ersten 100 km Auflösungserscheinungen und ich reklamiere sie per Mail. Bin mal gespannt, was für eine Reaktion kommt.

Der Aufenthalt im Kloster ist sehr spartanisch und von der familiären Atmosphäre spüre ich leider nichts. 

Das Essen ist sättigend und ich falle müde ins Bett.

Morgens bin ich als erstes wach und schleiche mich leise raus, um zu packen. Meine Hose kann ich nicht finden und so muss ich warten, bevor ich Licht machen kann. Irgendjemand hat die umgehangen. Das Frühstück ist knapp und ich bleibe bei meinem Motto: Der Pilger nimmt, was man ihm gibt.

Dann geht es los in einen Regentag. Der Weg geht gleich bergauf und ist total matschig. Ich rutsche mehr als das ich laufe und bleibe mit den Stecken und auch mit den Schuhen im Schlamm stecken. Nun sind sie restlos schlammig und die Füße nass. Von oben Wasser, von unten Wasser, in den Schuhen. Die Ausblicke sind sattgrün und Nebel steigt auf. Ein Vogel in der Hecke grüßt mich und den Tag. 


 Es bleibt bis Gernika anstrengend und schlammig und manchmal ist rechts weniger Schlamm, dann mal links, doch meistens muss ich mitten durch. Stacheldraht und Brombeerhecken am Wegesrand lassen mich um mein Regencape bangen. 


Am Wegestand entdecke ich immer wieder Graffitis, die mich sehr nachdenklich machen. In Gernika waren wir Deutschen ja nicht zimperlich. 


In Gernika spricht mich eine Pilgerin an und wir plaudern bei Kaffee. Nachdem ich ihr erzähle, was ich gearbeitet habe, sagt sie, dass sie für eine Tagesmutter - Zeitung gearbeitet hat. Es ist die ehemalige Chefredakteurin der ZET, mit der ich früher ab und an zu tun hatte.

 





Die Welt ist ein Dorf.
Danach ziehe ich weiter und es wird nicht besser. Klatschnass komme ich an einer Herberge an, die erst in einer Stunde öffnet. Das ist mir zu kalt zumal es nicht einmal eine Bank gibt. Also laufe ich weiter. Doch die Nächste ist geschlossen, also muss ich weiter. Der Weg wird nicht besser und ich entferne Steinchen aus den Schuhen, ziehe meine Socken aus, da sie immer länger werden und sehe, dass die auch kaputt gehen. Was ist hier los?
Am Ende teilt sich der Weg für Fußpilger und Radpilger. Da mein Weg wieder steil nach oben geht und ich schon nach den ersten Schritten schlittere, entscheide ich mich für den Radpilgeweg. Der Forstweg ist gut begehbar, führt aber weg vom eigentlichen Weg. Dann muss ich an der Straße entlang laufen und die Kilometer werden mehr statt weniger.



 Nach über 36 km komme ich total fertig, verdreckt, verschwitzt in der Herberge an und bekomme- Gott sei Dank- das vorletzte Bett. Dann ist sie voll. Allerdings werden später noch 2 Matratzen in den Vorsaal gelegt, weil noch immer müde Pilger ankommen.




Nach der Dusche beiße ich kräftig in meine Schokolade und bin einfach nur dankbar, den Tag geschafft zu haben.
Ich hole mir im Laden zwei Milchreis und will später essen gehen, doch die Bar ist geschlossen. Dumm gelaufen. Also Schoki und Studentenfutter sind meine heutigen Energiegeber. 
Es sind auch zwei Deutsche hier und Rupert ( 67), Thüringer, verwickelt mich in ein Gespräch und ich bin froh, als er jemanden anderes anschwatzt, weil mir heute alles zuviel ist.


Die Antwort meiner Reklamation kam prompt. Ich kann die Schuhe einschicken, dann wird bewertet, ob es ein Materialfehler ist. ALLERDINGS werden schmutzige Schuhe nicht angenommen. Super! Tolle Entscheidung, nach heute kann ich es vergessen! 
Ich frage mich ernsthaft, ob ich Ballschuhe oder Trekkingschuhe gekauft habe!



Sonntag, 5. Mai 2024

Der Weg ist belebt


 Von Pasaia aus bin ich eine wunderschöne Etappe auf den Klippen über dem Meer nach San Sebastian gelaufen. Das Rauschen des Meeres, das zwitschern der Vögel, blauer Himmel und allerlei Blumen und Blüten am Wegestand, dabei Sonne über mir und im Herzen. So geht Pilgern. 


nix


Am Strand angelangt, gehe ich trotz frischer 12° bis zu den Knien ins Wasser. Zwei junge Pilger halten es im Bild fest ( natürlich wechselseitig) und wir führen ein kurzes, interessantes Gespräch über Pilgern, Herbergen und Preisen.


Ja, diese haben es in sich, wenn es keine kommunale oder kirchlichen Herbergen gibt. So wie heute, wo mein Hostelzimmer ( sehr einfach, es gibt nicht einmal einen Stuhl) mit 8 Betten schlappe 30€ kostet. Kein schlechter Quadratmeterpreis. Aber ich habe ja meine Lektion gelernt und nun werde ich laufen und schauen, was passiert. Finde mich ziemlich mutig, da doch recht viele Pilger unterwegs sind und ich immer wieder neue Gesichter entdecke.



Da bis zum Check - In noch viel Zeit ist, gehe ich zur Touristen-Info und besorge mir einen Stadtplan. Dann laufe ich kreuz und quer durch die Stadt und sie hat viel zu bieten. Neben drei großen Kirchen, ein großes Rathaus, schöne Strände, Jugendstilhäuser, jede Menge Pintos- Bars und viele Grünflächen. 





Vor dem Hostel sitzt Brahim aus Norwegen.Er hat sich gleich für 2 Nächte angemeldet, denn er will das Nachtleben genießen.

In meinen Zimmer sind sieben ähnlich junge Leute, die ich erst im Laufe der Nacht sehe, als sie zwischen 1 und 3 Uhr eintrudeln. An Schlafen war eh nicht zu denken, denn bis 3 Uhr wurde vor dem Fenster geklönt und die Musik dröhnte. Die geschlossenen Fenstern hatten keinerlei Schallschutz, so dass ich das Gefühl hatte, mein Bett steht auf dem Gehsteig. Also Musik hören, später Ohropax und irgendwie kam ich zu vier Stunden Schlaf.

Morgens verlasse ich im Dunkeln tastend leise das Zimmer und frage mich wieso.  Die Straße ist nassgrau wie der Himmel und zeigt noch die Spuren der Nacht. Alles ist geschlossen und so laufe ich ohne Frühstück los. 

Der Outdoor - Führer lockt mit einer wunderbaren Alternativroute, die ich in Angriff nehme. Steil bergauf in Serpentinen aus der Stadt hinaus. Nach ca. 45 min und schweißnass hindert mich ein breiter, hoher Zaun meinen Weg zu verfolgen. Überklettern geht nicht, er ist über zwei Meter hoch. Links ist Hang, rechts ist Abgrund. Die Vernunft siegt und so rolle ich das Pilgerfeld von hinten auf. Ich überhole viele mir unbekannte Gesichter.

Als der Regen einsetzt, helfe ich Sophie aus Frankreich beim Kampf mit dem Regencape und wir plaudern kurz. Wir stehen vor einem Bistro, das leider geschlossen hat. Den Kaffee hätten wir beide gern genommen. Dann gehe ich weiter, denn ich bin schneller unterwegs. Der Weg ist jetzt schön schlammig und es ist zwecklos sich vorzusehen. Die Schuhe bekommen die zweite Färbung- schlammbraun. 


Endlich hört der Regen auf und so kann ich den Blick wieder heben und sehe das Meer von oben, das das bleigrau gegen ein dunkelblau eintauscht.

Ich komme nach 10 km an einem Pilgerpoint vorbei, der von netten jungen Hospitaleros betrieben wird. In der Holzhütte brennt der Kamin und Antje und Maria sitzen schon drin. Ich bekomme einen Kaffee, Käsebrot und Omelett zum Frühstück. Alles läuft auf Spendenbasis und da gebe ich gern.

Draußen kommt ein Pilger und als er die Kapuze absetzt, schaue ich ihn verwundert an. Er sieht aus wie Thomas, den ich auf dem Frances getroffen hatte. Als er deutsch spricht, quatsche ich ihn an. Er verneint und meint sein Bruder kann es auch nicht gewesen sein, der interessiert sich nicht dafür. Wir finden es beide lustig. 

Ich laufe weiter bergab, sodass ich in Serpentinen jogge. Jetzt kommt die Sonne voll raus. Es geht unter der Autobahn in den Ort. In Orio sind es schon 20°C. Der Weg führt an der Kirche durch enge, mittelalterliche Gassen nach unten. 





Am Hafen geht es über eine Brücke und auf der anderen Seite steil nach oben, wieder unter der Autobahn hindurch. Die folgenden Kilometer sind ein ständiges auf und ab, vorbei an einzelnen Bauernhöfen mit Schafen, Eseln, Hühnern, Stieren und mageren Kühen. Jetzt ist viel Asphalt unter den Füßen, aber die Blicke auf das Meer entschädigen für alles.

Dann geht es wieder bergab nach Zarautz und ich wähle die schönere Variante (600m länger) am Campingplatz oben auf der Klippe führt ein Weg direkt nach unten zum Strand.


Von oben wird der Golfplatz direkt hinter dem Strand sichtbar und es wird gespielt. Ich ziehe meine Schuhe aus und laufe in die Wellenkante und gönne meinen Füßen ein Bad. Im Ort suche ich vergeblich einen Supermarkt. Nun sind schon 25°C.


Also weiter laufen. Hinter der Altstadt geht es steil bergauf. Für die Bewohner wurde ein großer Fahrstuhl installiert. Ich sehe mir die Steigung an und denke: Warum? Warum nicht? Ich fahre hinauf und spare mir 10 min Atemnot.


Oben geht es genauso steil weiter in die Weinberge. Dann geht es wieder bergab und der Blick streift übers grüne Hügelland,Weinberge und Meer. Es ist der Hammer! Ich finde den nächsten Wasserhahn und trinke auch hier meinen halben Liter. Es gibt heute wirklich viel Wasser. Erst von oben, dann im Wald zwei Quellen und jetzt schon der 4. Wasserhahn. Hunger ja, verdursten nein.




Dann zieht sich der Weg lange im steten bergauf und ab, um dann den letzten steilen Anstieg nach Askizu zu bewältigen. 


Hier steht eine pilgerfreundliche Pension, wo ich ein 3- Bettzimmer beziehe. Ich bin vor Antje und Maria da. Sie haben mich angekündigt und so sind wir zusammen im Zimmer. Als ich aus der Dusche komme, begrüßen mich Dimitri und Juri lautstark! Die sind wirklich lustig.


Nach der Pilgerroutine kommt das 1.Pilgermenü. Am Tisch geht es lustig zu: Australien, Holland, Italien und Deutschland sitzen zusammen. Mit Englisch, Händen und Übersetzter kommen wir uns alle näher. 21 Uhr gehe ich ins Bett und freue mich auf eine ruhige Nacht.


Nach einer herrlichen ruhigen Nacht auf einem " Fliegenfriedhof" stehe ich frisch- fröhlich auf. Das Frühstück ist dürftig, aber der Pilger nimmt, was man ihm gibt. Draußen treiben tiefschwarze Wolken am Himmel und werden vom stürmischen Wind weitergetrieben. Dieser Wind hält mich von der schwierigen, steilen Variante an der Steilküste ab,denn schon auf dem normalen Weg werde ich öfters fast umgeweht. Kein Risiko habe ich meinem Liebsten versprochen. So laufe ich straff durch die satt-grüne hügelige Landschaft und der Regen bleibt aus.

Es läuft sich herrlich und die Landschaft ist magisch mit den vielen kleinen Gehöften und den verschiedenen Tieren. Wie überall ist das Gras vor dem Zaun am Saftigsten. Natürlich gibt es auch wieder ein Stück Schlammweg und so verfärben sich meine Schuhe immer mehr. Egal, sie laufen sich super und nachher kann ich sie eh in die Tonne stecken.




Ich gehe ein Stück mit Florine, einer jungen Holländerin, die auch einen guten Schritt hat. Wir unterhalten uns auf Englisch und es geht jeden Tag besser. In Iziar ist die Kirche geöffnet und so genieße ich einen Moment der Stille und denke an meine Lieblingsmenschen. 

Unterwegs queren wir eine gesperrte Straße, wo ein Motorcross läuft und kurz danach am Zielpunkt eines Radwettkampfes. Hier spielen starke Muskeln mit dem Gelände. Nun laufe ich wieder allein weiter und lasse meine Gedanken fließen. Ein Reiter kommt mir entgegen. Was für ein schöner Anblick.




Danach geht es wieder extrem steil bergab auf Asphalt, sodass ich meine Jogging -Variante nutze. Ich laufe an einigen Pilgern vorbei und hinter mir ruft es " Hey Speedy Gonzales".



Ich bin schon mittags in Deba und hadere mit einer Entscheidung. Die örtliche Herberge sieht schön aus, hat einen guten Ruf und ist Preiswert. Die nächste ist knapp 5 km weiter, kostet doppelt so viel und die Meinung der Pilger ist schmuddelig. Auf Pilgermenü habe ich auch keine Lust, da mir dabei das Gemüse fehlt. Der einzige Vorteil, wäre, dass der Weg morgen zu dem von mir auserwählten Kloster nicht so weit wäre. Wie ich noch abwäge, kommt eine Nachricht von Juri. Er fragt ob ich da bin und es noch Betten gibt. Ich bejahe und so verabreden wir, das ich hier warte. Entscheidung gefallen und nun freue ich mich auf einen weiteren lustigen Abend.



Wir melden unser Bett an, dann gehen wir an den Strand. Unterwegs kaufe ich ein großes Stück Wassermelone. Heute wird mein Badeanzug eingeweiht, denn die Sonne lacht und so stürzen wir uns in die Fluten. Danach sitzen wir an der Promenade, beobachten das Leben, amüsieren uns, und plaudern nett.

Plötzlich wird es dunkel und kurz danach regnet es und alle flüchten vom Strand. An einer Bar stellen wir uns unter und in einer Regenlücke bewegen wir uns in ein Restaurant gegenüber der Herberge. Ich trinke Kaffee und die Jungs essen erst einmal baskische Küche. Es sieht sehr lecker aus, doch ich habe noch keinen Hunger, habe ich doch gerade mit Genuss meine Obstgelüste gestillt.

Gemütlich lassen wir uns treiben und dann checken wir in der Herberge ein. Ich habe ein Bett unten, in einer Nische. Insgesamt sind wir 16 Pilger oben. Unten ist auch voll und die noch ankommenden werden weggeschickt. Oh weh. Eine Küche gibt es hier leider auch nicht, sodass ich mein Müsli im Rucksack weiter tragen werde.


Meine Strategie mit früh loslaufen funktioniert, Mal sehen, ob es morgen auch klappt, denn die Etappe wird lang. Hoffentlich hält das Wetter.