Sonntag, 19. Mai 2024

Des Pilgers Freud, des Pilgers Leid

 Als ich mir die nächste Etappe angeschaut habe, habe ich beschlossen, ein wenig zu schummeln, denn es soll etwa 10 km zwischen Nationalstraße, Eisenbahn und Autobahn entlang gehen! Ehrlich gesagt, ist Krach im Moment ziemlich nervig, egal ob Stadt oder Auto. Ich bin frei in der Natur und genieße die zeitlose Ruhe.

Heute morgen gehen wir in die Bar frühstücken und ich esse schon zum Frühstück eine Tortilla aus Mangel an Alternativen. Gerd stellt fest, dass er seine Papiere und Hörgeräte liegen gelassen hat und läuft nochmals zurück. 

mit




Dann starten wir. Auf einer Weide stehen 4 Pferde vor einem frisch geborenen, toten Fohlen und mir wird traurig uns Herz. 

Wir laufen ein paar Kilometer bis Pesués auf der Straße zum Bahnhof. 


Der Zug kommt erst in 45 min und ein Spanier wartet mit uns. Als der Zug kommen soll, kommt ein Taxi und erklärt uns, dass es der Schienenersatzverkehr ist. Da Pilger kostenlos fahren dürfen, werden wir kostenlos zwei Dörfer weiter transportiert. Dort wartet ein Reisebus, dem wir erklären, wo wir aussteigen wollen. Ein Claro genügt und wir fahren los. Doch der Bus hält nicht an unserer Station. Gerd geht zum Fahrer und erklärt, dass wir raus wollen. Er hält am Straßenrand, direkt 20 m hinter dem Camino. Wer hätte das in Deutschland gemacht?


Nun laufen wir in die Hochebene hinein und es ist grandios! Hügelig, grün, voller verschiedener Blumen, Blicke zum Meer hinunter und in die Berge rauf. Es gibt gelb blühende, ginsterähnliche, dornige Sträucher, vor denen ich mich vorsehen muss, da sie schnell und kräftig die Beine zerkratzen.




Die Wolken ziehen am Himmel und es sind frische 12°C. Ab und an tröpfelt es und einen Guss warten wir unter einem Baum ab. Es geht hoch und dann mal wieder runter, vorbei an kleinen Badebuchten. Immer wieder übersteigen wir Weidezäune und Pferde, Kühe, Esel und Ziegen haben es hier paradiesisch und ihre Glocken sind weithin zu hören. Schmetterlinge gaukeln von Blüte zu Blüte, Vögel zwitschern, das Meer rauscht, murmelt, tost oder rumort und ab und an kreist ein Greifvogel über uns. 



Beim Springen von einem Weidezäune stauche ich mir das linke Knie und so muckert es ein bisschen rum, doch ich ignoriere es, denn die Gegend ist so schön.

Am Puente Caballo geht es über die Felsbrücke Cobiheru und es ist ein spektakuläres Erlebnis!



Ich laufe euphorisch mit Gerd nach Pendueles, wo es einen Brunnen und einen kleinen Laden gibt. Hier pausieren wir und ich esse zwei Bananen und unterhalten mich mit zwei Franzosen. Dann ziehen wir weiter. Der Weg ist weiterhin sehr fußfreundlich und die Ausblicke sind beeindruckend. An den "Bufones de Arenillas" hören wir das Meer in unterirdischen Höhlen Grollen und es ist irre laut, obwohl wir das Wasser nicht sehen. Bei stürmischer See sieht man Fontänen, aber auch ohne ist es beeindruckend. 



Dann regnet mal wieder kurzzeitig und bald erreichen wir Andrin, wo ein kleiner Laden auch Kaffee und Teilchen anbietet. Kaffeepause! Nur noch 7 km bis zum Ziel. Gerd hat starke Schmerzen, will aber weder ein Taxi rufen, noch die kürzere Straße nehmen.



So geht es den letzten Anstieg auf einen Kamm entlang, der sich stark schlängelt und viel bergauf und bergab geht. Wir sehen schon unser Ziel, doch kommen wir weiter davon ab. Falsche Entscheidungen müssen nun durchgehalten werden. Mein Knie meckert zwar auch, aber das Adrenalin lässt es mich vergessen.




Dann kommen wir in Llanes an und es stehen herrliche Villen, manche leicht verloddert an der Straße. Es sind so genannte " Indianos"- Häuser, das sind Häuser die zurückgekehrte Auswanderer, (die zu Geld in Lateinamerika gekommen sind) gebaut haben. Sie sind farbenprächtig und bilden einen eigenen Baustil.





Unsere Herberge ist auch so ein Haus, das sehr charmant- marode daher kommt. Wir haben die Option für 18€ Sechsbettzimmer und Etagendusche für drei solche Zimmer oder für 22,50€ Privado mit eigenem Bad. Da fällt mir die Entscheidung nicht so schwer, denn ein eigenes Bad, statt mit 25 und mehr Leuten zu teilen, ist mir wichtig.



So ziehen wir wieder in ein Zweibettzimmer und genießen unseren Luxus mit Froteehandtuch und Duschbad. 


Nach der Routine gehen wir zum Pilgermenü in die Bar " Pico de Europa". Der junge Mann am Tresen ist ehrlich bemüht mir ein vegetarisches Menü zu servieren und gemeinsam finden wir eine Lösung. So bekomme ich einen sehr leckeren Salat mit Käse, Rührei mit Tomaten und grünen Bohnen und ein kleines Stück Käsekuchen mit Karamellsoße. Es ist alles sehr lecker und ich bin sehr dankbar dafür. 



Übrigens bin ich jetzt schon in Asturien. 

Gerd war beim Arzt und hat sich eine Entzündung zugezogen. Nun ist es ersteinmal vorbei mit pilgern. Sie meinen, dass er mindestens 3 Tage, besser länger pausieren soll. Das haut voll rein. Er ist leicht deprimiert und will 3 Tage abwarten, bevor er zurück fährt.

Ich finde es schade für Gerd, doch dass ist der Camino. Ich werde morgen alleine weiter gehen und wieder meinen Trott laufen und bald kommt Benjamin mit auf den Weg und das wird dann auch wieder sehr spannend! Ich freue mich, dass ich hier bin, dass ich laufen kann, dass es mir gut geht und ich fühle mich so grandios wie die Gegend.

Heute morgen verabschiede ich mich früh von Gerd und laufe 6:30 Uhr aus der schlafenden Stadt.


Ich laufe an die Küste, um die Variante direkt am Meer zu laufen. Der Sonnenaufgang ist wunderschön.

Dann soll ich durch eine Kuhweide mit Mutterkühen, da laufe ich lieber zurück und nehme 1,5 km Straße in Kauf. 

So komme ich nach Póo und dann geht es ein wunderschönes Stück an der Küste entlang. Links die Berge, rechts das Meer, Pilgerherz hüpft freudig in der Brust und mein Schritt ist ausholend. 




Bald bin ich in Celorio wo direkt am Meer ein altes Monasterio steht. Am Strand vorbei geht der Weg wieder hoch und an der Küstenlinie vorbei an kleinen, verborgenen Stränden. Leider sind erst 10°C, also zu kalt zum Baden.

Bald geht es wieder bergab und ich muss ein Stück parallel zur Autobahn laufen. Zum Glück ist noch nicht viel Verkehr.



Danach geht es etwas ins Inland nach Naves, wo ich vor einer geschlossenen Bar am Brunnen frühstücke. Zwei Spanier laden mich auf einen Schluck Rotwein aus dem Beutel ein und wir wechseln ein paar Worte. Die Bar öffnet und ich trinke noch einen Kaffee, der leider nur lauwarm ist und somit der erste Kaffee des Weges ist, der mir nicht schmeckt.

In Barro steht auf einer Halbinsel die Kirche de nuestra de Señora de los Dolores. Leider ist sie auch verschlossen und nur zu Gottesdiensten geöffnet.

Jtzt geht es durch einen Wald auf Forstwegen entlang bis nach Nueva, einen hübschen, kleinen Ort, wo gerade Markt ist. Hier kaufe ich mir etwas für das Abendessen ein und nehme die letzten Kilometer in Angriff.  

Es geht noch einmal parallel zur Autobahn und dann einen Berg steil hinauf, über eine Kuhweide zu einer Kirche. Als ich oben bin, wird mir klar, dass da meine Herberge für heute steht. Es ist erst 12 Uhr und ich bin 25 km gelaufen. Der Ort ist magisch. Nur Berge, Kühe, Kirche und Herberge. Ich überlege, ob ich weitergehen, denn erst in zwei Stunden öffnet Manuel die Tür.




Doch bis zur nächsten schön beschriebenen Herberge sind es 15 km. Das tue ich meinen Füßen und Knien nicht an! Ich bin froh, dass ich blasenfrei und komplikationsfrei laufen kann. Also setze ich mich an die Kirche, esse etwas, schreibe Tagebuch und warte. Ich bin die Erste, kann mir das Bett aussuchen und den einzigen Stuhl im Raum okkupieren. 



Die Dusche ist heiß und nach und nach treffen immer mehr Pilger ein. Einige kenne ich und neue kommen hinzu. Makarena aus Argentinien und Maria aus Korea liegen unmittelbar bei mir. Ich lade Makarena zu Kaffee und Keksen ein, denn sie hat nichts im Rucksack.

15 Uhr regnet es sich wieder ein und ich bin froh, dass ich nicht mehr unterwegs bin.

Die Herberge füllt sich mit jungen Leuten und es geht recht unruhig zu. Ich sitze auf der Terrasse und lese und sehe, das Manuel, der Hospitalero, die Augen verdreht. Es ist recht kalt und so verabschiede ich mich von Manuel und gehe ins Bett. Er sagt, ich sei eine gute Pilgerin und wünscht mir einen guten Weg und ein schönes Leben. 22 Uhr werde ich wach, weil ich ihn schimpfen höre. Die Jugend macht Halli Galli und das gefällt ihm nicht. Ich mache mir Ohropax in die Ohren und schlafe weiter.

Morgens bin ich früh wach und starte schon 6:30 Uhr. Es ist richtig frisch, aber trocken. Die Wege sind aufgeweicht und matschig. Langsam zieht ein wenig Morgenrot über die Berge.

In Curres ist eine Steinmauer bunt bemalt und in den Hecken zwitschern die Vögel ganz aufgeregt. Die Kapelle St. Martin ist hübsch geschmückt und ich frage mich, ob es vielleicht an Pfingsten liegt.




In der Ferne steigt der Nebel aus den Bergen. Die Wiesen blühen farbenfroh und überall stehen Kühe, Schafe oder Pferde auf der Weide.



In Ribadesella begrüßt mich ein Engel im Kreisverkehr und der Badeort ist ganz charmant. Auf der Kirche thronte ein großer Jesus.






Es geht ein Stück an der Strandpromenade entlang, bevor es steil bergauf in die Hügel geht. In einer Panderia decke ich mich mit Brot und Teilchen ein.




Nun laufe ich auf alten Straßen durch einen Wald und vorbei an kleinen Streusiedlungen. An einer Herberge sind Bretter mit so ziemlich allen Zielen der Welt oder sind es die Herkunftsorte der Pilger?







Dann endlich kommt eine Bar und ich kann frühstücken. Bis nach La Isla ist es nicht mehr weit, doch es geht an einer Straße ( N632) entlang, bis ich wieder zum Meer abbiegen kann.





In La Isla ist die Herberge wegen eines Trauerfalles geschlossen. Das Hostel kostet 45€ und ich weiß, dass ich dort keine Ruhe finde.
Unterwegs habe ich ein Schild einer Herberge abseits vom Camino gesehen und rufe da an. Es geht niemand ans Telefon. Da es noch zeitig ist, hoffe ich ein Bett zu bekommen und laufe hin. Doch als ich ankomme heißt es, es ist alles reserviert. Super, das Camino -Feeling geht damit verloren und ich habe ein Problem.
Sie rufen für mich in einer Herberge in 12 km Entfernung an, doch es geht niemand ran. Ich lasse mir Wasser geben und stiefel los. Ich komme an einem einsam gelegenen Hof vorbei, wo ein Mann die Pferde füttert. Er bietet mir frisches Wasser an und ich nehme es dankend an. Er fragt wohin und ich erkläre ihm mein Ziel. Er meint dass sei noch recht weit. Ich bitte ihn für mich anzurufen und er schafft es und reserviert mir ein Bett. Nun bin ich erleichtert und laufe weiter.

In Colunga trinke ich noch einen Kaffee und dann nehme ich die letzten? Kilometer in Angriff.

 




Es geht hoch und runter und wieder hoch und es zieht sich. Eine Frau meint, ich sei spät dran. Die Kühe werden schon heimgetrieben. Noch bin ich optimistisch und nehme jede Steigung mit Demut und hoffe bald da zu sein.


Dann endlich kommt das Schild " Priesca" und gleich das zweite Haus ist die Herberge. Schön gelegen in den Hügeln und außer mir ist nur ein italienisches Ehepaar da. Ich dusche, lasse die Wäsche waschen und freue mich, es geschafft zu haben. Fast 41 km liegen hinter mir. Nun habe ich einen ruhigen Abend verdient.