Donnerstag, 8. Oktober 2015

Allein, allein!?

Mogens startete ich ausgeruht und mit einem neuen Rucksack (ich habe Holgers "Osprey" beschlagnahmt, denn der hat weichere Gurte,trägt sich angenehmer und hat für Holger nach dieser Urlaubserfahrung eh ausgedient) trotz Abschiedsschmerz gut gelaunt in den sonnigen Oktobertag. Die Etappe hat es in sich und ich brauche eine Weile, bis ich auf dem richtigen Weg kam.
Ist es egoistisch, wenn ich sage, dass ich es genoss auf niemamden Rücksicht zu nehmen und meinen Stiefel zu laufen? So schön es mit Holger war, so froh laufe ich in den Morgen und weiß, es ist mein Weg, mein Abenteuer, mein Tag!
Ich nehme den feuchten Duft des Waldbodens auf, rieche die Pilze, die sich da verstecken und sehe die im Sonnenlicht glitzernden Tautropfen an den Farnspitzen. Es ist Oktober und er beginnt so sonnig wie mit zu Mute ist.

Die ersten 17 km laufen sich von allein, dann wurde es beschwerlicher, denn ich lief nur noch auf Teerwegen, welche sich durch die Landschaft schlängelten. Nach einem steilen Anstieg hatte ich einen Rundblick, der mir einen Freudenjauchzer entlockte! Es war rundum so schön: hügelig, Wald und Wiesen bestanden, Weinberge, Häuser und der Glanz des Oktobersonnenlichtes. Wahnsinnig, betörend schön und ich stand allein mittendrin.
Im nächsten Ort rieche ich den Trester von Wein und als ich mich umschaue entdecke ich ihn auf dem Misthaufen. Meine Nase betrügt mich nicht. Am Weg steht jede Menge Minze und Zitronenmelisse und die Geckos laufen blitzschnell über den Asphalt. Der nächste Ausblick eröffnete mir den Anblick des Tals der "Dordonne" und da lief ich hinab und 2 km am Fluss nach Port-Sainte- Foy- et- Ponchapt, wo ich nach 35 km am Ziel ankam. Die Pilgerherberge ist vom Feinsten! Aufwendig renoviert mit vornehmer, begehbarer Dusche, moderner Küche und 2 Schlafräumen. Einen großen für die Männer (8 Betten) und ein Zweibettzimmer für die Frauen, dass ich allein für mich habe! Bezaubernd!
Bei den Herren treffe ich alte Bekannte: Han und Willem aus Holland. Wir gingen gemeinsam einkaufen und Han (Sternekoch und ehemaliger Restaurantbesitzer) kochte für uns ein leckeres Abendbrot. Dazu ein Fläschchen Rotwein aus dem " Bergerac" und ein netter Abend war gesichert.


Der nächste Morgen begann mit einem perfekt gekochten Ei  und einer neuen Weggemeinschaft, denn die Holländer wollten mir eine Abkürzung zeigen, die der Pfarrer ihnen gesagt hatte. Da begann das Abenteuer a la hollandaise!
Die Abkürzung ging über die " alte" Eisenbahnbrücke an deren Ende wir über den Zaun stiegen. Ich sah schon die Schlagzeile:" Drei Pilger vom Zug erfasst", aber alles ging gut. Wir liefen wieder auf eine Anhöhe und über den Weinreben stieg der Morgennebel im Sonnenschein auf und es war ein sehr romatischer Anblick. Nach 8 km war Kaffeepause und Han holte den Kocher raus und kochte Kaffee. Als wir weitergingen kam Gil, der Franzose aus St. Astier dazu und wir liefen zu viert weiter. Han merkte, dass er sein Telefon!!! vergessen hatte und ging zurück. Wir liefen weiter und suchten eine Bank für ein Picknick und nichts war zu finden. Willem entdeckte in einem Vorgarten Tisch und Stühle und klopfte an der Tür an. Eine Französin in meinem Alter öffnete und als sie sah, dass wir Pilger sind, bat sie uns herein. Sie kochte Kaffee und Tee, stellte Kuchen, Brot, Pate und Trauben auf den Tisch und verließ uns für 20 min, da sie die Kinder von der Schule holen muss. Unglaublich! Wir stärkten uns und unterhielten uns mit Ann ( ihr Name) und erfuhren, dass sie 6 Kinder hat und sehr gläubig ist. Sie bittet uns für sie und ihre Familie eine Kerze zu entzünden. Das werden wir nicht vergessen. Wir zogen weiter und in Pellegrue trafen wir Han mit Handy wieder und liefen gemeinsam nach Saint-Ferme, wo uns die zweite schöne Pilgerherberge in Folge erwartet.
Wir wurden von Jean Pierre und Nicole begrüßt und abends auch lecker bekocht. Ich saß mit meinen Yeti-Puschen am Tisch und Nicole war total begeistert und wollte gleich im Netz recherchieren. Also machte ich Werbung für Yeti in Frankreich.

Die Nacht war weniger erholsam, zwei von drei Männern schnarchten und ab 1Uhr tobte draußen ein Gewitter mit Blitz und Donner. So war ich froh, dass ich 7Uhr aufstehen konnte. Das Frühstück zog sich hin, denn draußen prasselte immer noch der Regen. Aber pünktlich 8 Uhr hörte es auf und ich hatte den heiligen Jakobus im Verdacht mit Petrus gesprochen zu haben. Jedenfalls klarte es nach und nach auf und wir liefen in 4er Gemeinschaft los. Nach ein paar Kilometern verloren wir Gil, weil die "Oranjes" einen Kaffee brauchten. Aber weit und breit kein Bistro. Also flott einen Bauern, der über den Zaun schaute angequatscht und ich weiß nicht, wie Han das macht, aber 10 min später saßen wir in der Küche und bekamen einen Kaffee. Die Jungs nahmen einen Schluck Kognak dazu, ich nur Zucker.
Dann ging es weiter und nach 15 km kam doch der kleine Hunger. Nun kam mein Part. Am Wegesrand "fand" ich Tomaten und Weintrauben und im Rucksack hatte ich Salami, Studentenfutter, Kekse und Schokolade. Was für eine Mahlzeit! So kamen wir Mittags in Reole an und genossen einen Kaffee bevor wir schauten, wo es ein Bett gab. Wir fanden es in 6 km Entfernung in Bassanne. Wir kauften für das Abendessen ein und zogen los. Ich sah eine Riesenplantage mit, ja was eigentlich? Ich schaute genau hin und es waren Kiwis!!! Na da freut sich ja der Rucksack.1,2,3 geerntet und schon hatten wir einen Nachtisch.

Hinter uns zogen schwarze Wolken auf und wir liefen mit ihnen um die Wette. Gewonnen! Wir stellten uns mit den ersten Tropfen unter und telefonierten, um abgeholt zu werden. Als das Auto kam, kam auch Gil klatschnass an. Also wieder zu viert.
Die Herberge ist eine toll sanierte alte Mühle, welche mit ein bischen Pflege ein Schmuckstück wäre. Han meinte: "Ein Loft für Pilger!"
Ich fand frische Wäsche beim neugierig stöbern und so bezogen wir die Betten frisch. Dann genossen wir den herrlichen Raum und sahen dem Regen draußen trotzig zu.
Abends kochte ich in der Miniküche "Hackfleisch mit Ei" a la Bruni und dazu grünen Salat und die pessimistischen Kerle waren dann doch mit dem Ergebnis einverstanden. Der Übermut ließ Willem und mich den Abend mit " Hosen flicken", " Galgen raten" ( war aber zu schwierig) und " Fingerfußball" ausfüllen. Wir hatten einen Heidenspass.

Kaum sind Pilger nicht unter Kontrolle, reißt die Ordnung ein! Keiner von uns hatte einen Wecker gestellt und so wurden wir erst 7.45Uhr wach! Na ja, es war ja Sonntag. Frühstück mit perfektem Ei und dann in die Startlöcher. Der Himmel war grau, der Asphalt auch, nur die Laune war wieder bestens. Nach 10 km schmerzte meine rechte Ferse. Das war weniger schön und als ich nachschaute, entdeckte ich eine fette Blase auf der Hornhaut! Wie geht das denn? Also Pflaster drauf und durch! In Auros ist " Brocante" und wir schauten uns um, blödelten und fanden einen guten Kaffee und Kuchen. Schon ging es weiter und 7 km vor dem Endziel war Mittagspause auf der Terasse einer alten Dame, die uns Kaffee spendierte. Die Jungs haben es drauf.
In Bazas schauten wir uns die Kathedrale Saint-Jean-Baptiste an, welche es auch auf die Welterbeliste geschafft hat. Sehr beeindruckend! Ich bin immer wieder erstaunt, dass hier die Kirchenfenster so vielfältig bunt gestaltet sind und scheinbar alle Zeiten überstanden haben. Dadurch wirken die Kirchen viel dunkler und geheimnisvoller.
Anschließend saßen wir in einem Bistro und tranken ein Bier. Dann begann die Zimmersuche. Es war nicht einfach und am Ende hatten wir nur die Wahl in ein Chateau zu gehen. Das klingt gut, aber der Komfort ist relativ einfach und dafür gut bezahlt. Gil verabschiedete sich, da er weiter laufen möchte.
Wir zogen ein und machten uns frisch. Die Eigentümer gingen zum Tanztee, sodass wir frech den Salon belegten, denn da war der Handy und Wifi-empfang am Besten.
Der Hunger trieb uns schon 18.30 Uhr in die Stadt und wir fanden nur ein chinesisches Restaurant, dass geöffnet hatte. Also aßen wir "kantonesisch-Standard", wie Han sarkastisch bemerkte. Wir waren die einzigen Gäste und das war Sonntagabend schon ungewöhnlich. Als wir 20 Uhr gingen, entdeckten wir noch drei geöffnete Restaurant! Klar, wir sind in Frankreich, da wird spät gegessen. Wir gingen in einen recht gemütlich eingerichteten "Tabac", um das Nachtleben am Puls der Stadt zu genießen. Willem schaute sich am Fussball fest und Han und ich versuchten Billiard zu spielen. Ich habe es erst einmal bei der Kur vor 20 Jahren gespielt und Han hatte auch keine Ahnung von den Regeln, obwohl er schon öfter gespielt hat, aber wir hatten jede Menge Spass und irgendwann lasse ich mir mal die Regeln erklären. Wir hatten unser eigenes Punktesystem und am Ende habe ich beide Spiele gewonnen.( Hans hat gezählt!)
Nach diesem fröhlichen Abend zogen wir in unser Schloss.   

Da die Jungs immer noch nicht die Nase von mir voll hatten, zogen wir gemeinsam weiter. Nachdem der Rucksack mit Proviant gefüllt war, liefen wir der Ausschilderung hinterher und verliefen uns, weil wir einen Bauzaun, der den Weg versperrte ernst nahmen. Als wir nach 1 Stunde im Kreis wieder da ankamen, überwanden wir ihn und waren richtig. Der Weg war eine alte Bahntrasse und führte schnurgerade durch das Nichts! Der Boden war sandig und das ganze Gebiet ist " Landes", also Heidelandschaft. Es wurde unter Napoleon trocken gelegt und mit Kiefern und Eichenwald befestigt. Es zählt zu den größten zusammenhängenden Waldflächen Europas und ist sehr dünn besiedelt. Wir sehen also den Weg vor uns und rechts und links Kiefern, Eichen, Farn und Heide! Damit es nicht zu langweilig wird, schickte uns Petrus einen plötzlichen Regenguss. Indem Moment wo wir überlegten, ob es vorbei zieht oder....schüttete es los! Wie bei einer Feuerwehrübung warfen wir blitzschnell die Rucksäcke ab, holten das Regencape raus und waren auch schon nass! Rucksack auf- Regencape drauf und schon zogen 2 blaue und 1 rotes Regengespenst durch den Wald. Diese Alarmübung sollten wir unbedingt noch üben, denn es ist nicht so einfach ein Regencape über den Rucksack zu ziehen! Es goss in Strömen und als wir eine Straße querten, sahen wir in 100 m Entfernung eine Autowerkstatt, wo wir Unterschlupf und einen Kaffee bekamen. Nach 30min war alles vorbei, die Sonne kam raus und wir trockneten ab. Es ging weiter gerade aus und der Weg war voll Wasser gesogen, sodass es sich wie auf einem Teppich lief, was meiner Ferse sehr gut tat. Wenn ich nicht dran dachte, war alles gut! Wir picknickten um die Mittagszeit im dampfenden Wald. Die Temperatur war bei angenehmen 22 Grad, wie uns ein Thermometer verriet. Nach 20 geraden Kilometern kamen wir in Capiteux an und bezogen eine neue Art der Pilgerherberge. Ein kleiner Bungalow direkt auf dem Grundstück des "marie", mit ZWEI !!! Schlafräumen, 2 Duschen, Miniküche und Terrasse! Welch ein Luxus. Ich besorgte Kaffee, Kekse und Trauben und 15.30 Uhr saßen wir in der Sonne.Wieder so ein toller Pilgertag!
Danach war Waschtag und alles auf die Leine, neben die nun trocknenden Capes.
Nach dem Duschen schaue ich nach meiner Blase und die ganze Ferse ist dick und entzündet. Die Blase selbst ist prall und thront wie eine Insel im Entzündungsherd! Merde! Pardon, aber mehr fällt mir dazu nicht ein! 
Ich versuchte sie mit der Nadel aufzustechen , da sie aber unter der Hornhaut liegt, ist das ein Witz. Ich nahm also die Schere und " operierte" am offenen Fuß! Es lief und lief und alles wurde besser. Der Druck ließ nach und ich legte die Füße den Rest des Nachmittags hoch!
Übrigens: Bei Paulo Coelho's Jakobsweg bekommt die Hauptfigur immer Übungen auf dem Weg. Ich auch: Bei mir heißen sie Toleranzübungen: Die erste war Gil und seine Eßgewohnheiten. Also nicht von diesen auf den Rest der Person zu schließen. Ist mir nur mit Anstrengung gelungen.
Die Zweite ist: Kann ich Schlafräubern ( Schnarchern) auf Dauer morgens fröhlich "Guten Morgen" wünschen, wenn ich nachts wach lag? Ich kann.... und ich kann es immer besser! Letzte Nacht lag ich wach, weil mal einen Moment keiner geschnarcht hat! Das fand ich schon wieder lustig!
Abends gingen wir ins Kino. Captieux mit 1900 Einwohnern hat ein Kino mit fast 200 Plätzen und für 5€ ( Rentner 3€) sahen wir gemeinsam mit einem. französischen Paar den Film über Amy Winehouse, welcher im Originalton mit Untertiteln lief. So hatte ich doch  die Chance einiges zu verstehen, aber es gab ja viel Musik zum hören.

Der nächste Tag begann ganz mild und wir liefen schon in der Dämmerung ( kurz vor 8 Uhr) los, da die Etappe lang war. Schon die ersten Schritte auf der Bahntrasse versprachen mir, dass es kein guter Tag wird. Aber mein Optimismus schaltet erst einmal die Signale, die auf mein Hirn vom Fuss trafen aus. Der Sonnenaufgang war phantastisch! Nach und nach vergoldete sie die Bäume, Sträucher und Farne am Wegesrand, der Hahn krähte, Vögel zwitscherten, dass hatte etwas magisch- perfektes. Es war irrsinnig schön wie Licht und Schatten variierten und die Blatt- und Farnfarben ein bezauberndes Farbspiel kreiierten. Der Bahntrasse folgten wir 10 km und die Schottersteine prägten mein Empfinden. Danach wechselten wir auf die andere Seite der Autobahn und dahinter wurde der Weg sandig und mit Kiefernadeln bedeckt zur " Wohltat". Nach einer Pause ging es weiter und nach 20 km kommen wir in Bourriot-Bregone an, wo es einen " Tabac" gibt. Aber der schließt in 15 min! Wir bekamen aber noch ein Radler und einen Kaffee und durften auf der Terrasse unsere Pause beenden, trotz Schließung. Danach ging es ein paar Kilometer richtig gut! Ich jammer ja nicht oft, aber heute war es soweit und ehrlich gesagt hatte ich die letzten Kilometer nicht viel Spass, aber Willem und Han lästerten so nett, dass ich wieder lachen konnte. Ich stützte mich auf meine Krücken und habe kaum noch einen Blick für die Umgebung.Ich fühlte mich " undankbar" und sah wieder bewußt die verschieden blühenden Erikabüsche, gelbe Sternenblümchen, grün von Ginster und Kiefernschösslingen und weiße " Fussel" -blütenstände, dazu braun getönte Farne und Pilze in jeder Facette. Wirklich einzigartig, wenn ich alle Sinne dafür frei hätte. Als ich endlich die ersten Häuser von Roquefort ( nicht dass vom Käse) sah, entrang sich meiner geschunden Seele ein lautes " Ja"- Stöhnen, was dem von Sally ( im Film, jeder kennt die Szene) sehr nahe kam. Han und Willem lachten sich total kaputt und fragten:" Bruni, geht es noch?" Das ist die Frage! Im "Tabac" brauchte ich erst einmal ein Radler und noch eins und dann konnte ich ins Refugio humpeln. 36 km geschafft- auf der ganzen Linie!!!

Das Refugio gehört zur Kategorie " Klasse". Alles da, alles sauber,  Waschmaschine und Trockner! Nach dem Duschen war also Waschtag. Die Jungs gingen einkaufen und ich darf die " Waschmaschine" hüten. Sie sind wirklich zwei liebe Kerle und verwöhnten mich mit Bier, leckerem Essen, Wein zum Essen und Chips. Im Refugio war auch Ruth, eine 70 jährige Australierin, die mir eröffnete, dass sie nachts auch schnarcht und spricht und so wird die Nacht sicher lustig. Eine Steigerung meiner Toleranzübung!

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