Sonntag, 20. September 2015

Zu Zweit geht es sich leichter

Am nächsten Morgen sollte es früh losgehen, da die Wetteraussichten bescheiden waren. Beim Einpacken vermißt Luc seine Regenjacke und nach erfolglosen Suchen, war klar, dass er diese in der Kathedrale liegen ließ. Also zuerst dahin, doch sie war noch verschlossen. Der Regen begann und wir setzten uns in ein Kaffee zum Warten. Inzwischen packte ich meine Sachen wasserfest ein und stieg in meine Regenhose. Luc ging in meiner Jacke zur Kathedrale, aber alles suchen war erfolglos. Also kaufte er im erst besten Markt ein Cape und eine Jacke. In der Touristeninfo gab es nicht die Karte die wir brauchten, also liefen wir zur Buchhandlung, aber genau DIE Karte war vergriffen. Spätestens da hätten wir wissen müssen, dass das heute nicht unser Tag ist. Es regnete Strippen. Also liefen wir erst 10 Uhr in Never auf dem richtigen Weg los und schauten viel nach unten, damit die Brillengläser trocken blieben und so passierte, was passieren mußte ( ohne Frank), wir verpassten den Weg. Als wir es merkten handelten  wir mutig nach unserem Motto " Vorwärts immer, Rückwärts nimmer" und pilgerten auf einem abenteuerlichen Weg. Der Regen lockte jede Menge Nacktschnecken auf die Straße und hier haben sie eine ziemlich rot- orange Färbung. Überfahren sehen sie aus wie zerquetschte Cocktailtomaten. Lecker!
Nach einer Weile kamen wir an den Kanal der Loire, den wir finden sollten, leider nur 3 km weiter unten. Das bedeutete 3 km im Regen an einer gut befahrenen Landstraße. Man gönnt sich ja sonst nichts. Nass war ich eh schon wieder richtig. In La Grenouille wechselten wir den Kanal und liefen am Kanal der Allier entlang und der Weg war ein Landsträßchen und sehr schön, trotz Regen. In Apremont -sur -Allier stand ein Schild, dass es eines der schönsten Dörfer Frankreichs ist. Das wollten wir sehen und just da hört der Regen auf, sodass wir die Köpfe heben konnten. Ja es war tatsächlich ein liebreizendes Dorf voll alter, gut gepflegter Häuser, vielen Blumen, tollen Rabatten und direkt am Fluss.

In einem hübsch eingerichteten Bistro machten wir Pause und aßen ein Stück Tomatentarte, der sehr lecker war. Es kam eine Gruppe Schweizer herein und wir unterhielten uns kurz, bevor es weiter ging. Wir durchquerten 10 km Wald auf dem Sträßchen und es war wunderbar und der Herbst richtig sichtbar.

Dann erreichten wir unser Zimmer und es befindet sich auf einem 30 ha großen Grundstück mit Schloss. Der Besitzer ist 69 Jahre und zeigt uns sein Hobby. Wahnsinn. Teilweise ist es schon renoviert, aber es braucht 2 Leben, um fertig zu werden.
Am Ende sollten wir ein Stück geschwungenen Sandstein berühren, den alle Pilger berühren, weil ???? Darauf schon König Henry, Napoleon, Jean D' Arc und noch mehr hohe Herrschaften gepinkelt haben! Rs wsr ein Stück Stein aus dem Abbort! Ob es stimmt? Auf jefen Fall hatte der gute Mann die Lacher auf seiner Seite.

Unser Zimmer war in einem Gite mit 4 Ferienwohnungen und weniger historisch wertvoll. Die heiße Dusche war mir aber wichtiger, als ein Zimmer im Schloss. Das Essen war diesmal sehr gewöhnungsbefürftig, aber nach 32 km hatten wir einfach Hunger und so gab es zu Nudeln, die wir in der Mikrowelle überbucken Wurst und Käse ohne Brot, denn dass sollte unser Frühstück sein. Wir fragten nach, ob es noch Marmelade gibt, dass wurde aber kategorisch abgelehnt. Die Frau war eh etwas abweisend, wahrscheinlich war sie nicht glücklich auf dieser riesigen " Scholle" fernab von Internet und Telefonempfang ( hier gibt es ständig Funklöcher und ich laufe tatsächlich mit dem Handy durch die Gegend, um zu schauen, wo zwei Balken Empfang sind, um ein Telefongespräch führen zu können) zu leben und mit Pilgern und Gästen Geld zu verdienen, dass im Schloss landet, wo sie eh nie leben wird. Ich hatte vollstes Verständnis für diese Frau, aber nicht für die fehlende Marmelade.
Am nächsten Morgen frühstückten wir ohne Marmelade und machten uns auf den Weg. Im Ort gab es eine offene Boulangerie und so kauften wir die Standardverpflegung pain aux chocolade und pain raison. Der Weg führte uns zurück an den Kanal. Der Himmel war voller Wolken und machte es spannend. Noch war es trocken. Es ging 10 km am Kanal entlang und wer denkt, dass es langweilig war, der irrt. Es ging mal links, mal rechts am Kanal entlang über Schleusen und Brücken. Mal war es Grasweg,dann Kies und später Schotter. Wir liefen zwei km durch eine Allee von riesigen Platanen und es erinnerte sehr an ein hohes Schiff einer Kathedrale. Einfach wunderschön.

Es sprühte immer wieder ein paar Tropfen, die uns nicht beeindruckten. Dann öffnete sich der Weg und wir gingen direkt am Wasser und später wieder durch heckengesäumte Wege.
Unsere etste Pause machten wir nach 14 km an einer Brücke. Danach führte uns der Weg über zwei kleine Dörfer.In Augy-sur- l' Abois gab es eine Pilgerherberge und wir wurden dort von zwei holländischen Hospitaleros ( Freiwillige, die in ihrem Urlaub Pilgerherbergen offen halten) freundlich begrüsst und auf einen Kaffee mit Kuchen eingeladen. Das war super und Luc hat ihnen Geschichten erzählt. Als wie fertig waren, kamen noch zwei Holländer vorbei, die auf Revival - Tour waren. Sie sind mit dem Rad noch Santiago gefahren und fuhren nun die Strecke mit dem Wohnmobil ab.
Auch hier im Ort telefonierten die Anwohner im Garten bzw. auf der Straße, ein französisches Phänomen.

Wir verabschiedeten uns fröhlich und liefen zurück zum Kanal. Dort flogen vor uns viele, sehr kleine Schmetterlinge in zartflieder, sonnenblumengelb und in verschiedensten brauntönen umher und versprühten eine Leichtigkeit, die uns mit der Anzahl der Kilometer verloren ging.
Am Ende des Kanal machten wir dann noch eine Pause, bevor wir die letzten 6 km in Angriff nahmen. Es begann ein leichter Sprühregen, aber wir wollten nicht mehr die Regenjacken rausholen, denn das bedeutete den Rucksack absetzen und er war so drückend heute. Also nahmen wir es als Vorwäsche, vor der heißersehnten Dusche.
In Ainay-sur-le chateau hatten wir ein Problem die Pilgerherberge zu finden. Wir fragten uns durch, klingelten an der falschen Tür und wurden richtig geleitet.
Die Herberge wird von Michelle (männlich) und Michael ( weiblich) zwei freiwilligen Belgiern betreut. Nach 36,4 km freuten wir uns über das kalte Begrüßungsbier. Wir machten uns frisch und durften die Waschmaschine benutzen.

Danach bekamen wir ein sehr delikates und leckeres 5-Gang- Menü serviert und nach dem Abwasch durfte ich meine Bilder am PC auf einen USB- Stick ziehen. Das ist die pilgerfreundlichste Herberge auf dem bisherigen Weg.
Am nächsten Morgen konnte sich das Wetter nicht entscheiden.Es war mild, sehr windig und anfänglich richtig sonnig. Im Laufe des Tages änderte es sich fast halbstündlich, sodass ich mehr mit Regenjacke an- und ausziehen ( weil man darunter schwitzt, wenn die Sonne scheint) beschäftigt war, als mit wandern. Meine Stöcke hätte ich beinah das erste Mal vergessen, aber Michelle hat mir hinterher gerufen. Glück gehabt. Der Feldweg führte uns auf ein Plateau, sodass wieder ein Weitblick möglich war. Die Landschaft ist grün von Weidefläche und Wald und überall gibt es kleine Höfe. Es ist sehr lieblich, trotz der schwarzen Wolken am Himmel.Wir laufen hinunter und kommen an den Canal du Berry, wo eine Trockenphase für eine Pause genutzt wird. Danach geht es nach Saint- Amand- Monzrond, einer Kleinstadt an der Cher. Montags14.30 Uhr ist es hier sehr ausgestorben. Es gibt eine hübsche, alte Kirche und ein paar alte Gebäude.

Am Markt waren alle Geschäfte und Restaurants geschlossen. Erst am Ortsausgang fanden wir eine offene Bäckerei, aber da es wieder schauerte, aßen wir im gehen. Und dann entdeckte ich einen Blumenladen und der war der traurigste Anblick des Tages und für mich der Inbegriff dessen, was ich die letzte halbe Stunde sah. Der Laden ist endgültig geschlossen und im Schaufenster starben die letzten Blumentöpfe eines einsamen Todes.
Nun führte uns ein Feldweg nach Bouzais, in die Pilgerherberge der fränkischen Jakobusgesellschaft. Jean Pierre (62) begrüßte uns und erzählte, dass er 9 Monate über 4800km gepilgert ist. Start war in Wroclaw ( er hat polnische Großeltern) über Görlitz, Zittau, Prag, Ulm, Portugal,Santiago. Seine 2. Pilgerreise war. Von England über Rom nach Jerusalem. Wer einmal gepilgert ist, den läßt es scheinbar nicht mehr los. Alle wollen etwas zurück geben und als Hospitalero hat man da eine gute Möglichkeit. In seinem Arbeitsleben war er Professor für Sprache und Literatur.
Ich war beeindruckt.
Wir hatten eine Pflichtbesichtigung der Eisenbahnplatte des Nachbarn und dann war duschen und ausruhen angesagt.

Abends kochte uns Jean Pierre ein köstliches 4-Gang-Menü und dazu gab es ein gutes Glas Rotwein. Seit Vezelay hat sich das Pilgerleben schon stark verändert. Nicht nur, dass ich jetzt in Gesellschaft laufe, auch esse ich jetzt viel leckerer und viel mehr. Luc ist genauso ein Süßschnabel wie ich und kommt an keiner Patisserie vorbei, ohne etwas zu kaufen. Naja und wenn ich schon drin stehe...
Der nächste Morgen war wolkenverhangen und bleigrau, sodass ich gleich in die Regenhose stieg, um für alles gewappnet zu sein. Wir frühstückten und zogen los. Der Wind blies kräftig und die Grautöne des Himmels reichten von weißgrau über betongrau und mausgrau bis anthrazit. Es blieb also spannend und auch das erste Drittel des Weges trocken. Der Weg war abwechslungsreich und in Grand Orme sah ich das erste Mal in Frankreich braune Kühe ( bisher waren alle weiß).

Dann setzt der Regen ein und der Wind legt sich. Ein schön gleichmäßiger schwacher Landregen. Zuviel um ohne Regenjacke zu laufen, aber zuwenig um gleich klitschnass zu sein. Also ein guter Regen. Die Tropfen klopfen eine Melodie auf meinen Kopf und ich versuche mit den Stöcken den Grundschlag aufzunehmen und meine eigene Wassermusik zu komponieren. So war der Wegabschnitt den ich die nächsten Stunden sah ( 2 m Weg plus meine Schuhe) interessanter. An der Moulin de Mesereau, ein liebliches Fleckchen Erde hört es kurz auf und wir nutzen den Moment für eine Pause am dortigen Rastplatz. Unser Menü bestand aus je einer Banane, Tomate, Nektarine, ein la vache curie Käse und 2 Keksen. Das waren unsere letzten Vorräte, da wir keinen Laden am Weg hatten. Kaum liefen wir weiter regnete es wieder und erst im Vorort von Le Chatelet kam die Sonne durch und der Regen hörte auf.
Wir hatten im Hotel du Pont Bayard reserviert, weil die hiesige Pilgerherberge wegen Krankheit geschlossen ist. Als ich das Hotel von außen sah, erinnerte es mich an  "Central und La Poste" . Mir schwahnte schlimmes. Am Tresen begrüßten uns zwei ältere Damen und als uns die Eine die Treppe hochführte war ich schon optimistischer, die Treppe war sauber! Das Zimmer war einfach, mit Dusche und WC im Zimmer ( was nicht immer so ist) und wirklich sauber. Hurra, es geht also doch für 35€ ein Hotelzimmer zu mieten und kein Loch! Ich bin der Auffassung, dass es daran liegt, dass es von Frauen geführt wird! Vorurteil hin oder her!
Wir machten uns frisch und gingen hungrig zum Supermarkt ( den ersten seit 6 Tagen), um Proviant zu kaufen. Es kommt, wie zu erwarten war, wir kauften zu viel und haben nun jeder 1/2 kg mehr zu tragen.

Es gab im Angebot eine Packung mit 6 verschiedenen Minitartes für 4,40€, also ein echtes Schnäppchen. Damit setzten wir uns in den "Tabac" und bestellten Kaffee. Auch hier war es kein Problem den mitgebrachten Kuchen zu essen. Wir bekamen sogar ein Messer, um die Tartes zu teilen. Wir liefen voll gefuttert zum Hotel zurück und ruhten uns aus. Abends gab es noch ein 3- Gang-Menü, aber ich mußte nach dem Hauptgang die Segel streichen. Was zuviel ist, ist zuviel. Um die Wirtin nicht zu beleidigen, nahm ich den Crepes mit aufs Zimmer in die Proviantschachtel.
Luc ist ein großer Rechner. Er schaut bei jedem Orientierungspunkt nach, wieviel Kilometer es noch sind und wann wir dasein werden. Dazu kommt immer noch die aktuelle Wetterlage von der App. Ich ziehe ihn damit auf und sage, wenn du rausschaust siehst du das Wetter und wenn wir ankommen sind wir da.
Am nächsten Morgen sagte die App 90% Regen und Gewitter. Keine guten Aussichten. Ich schaute raus, es war grau und es blies ein sehr laues Lüftchen. Wir liefen los und der Himmel wurde immer heller und ich sah auch schon hier und da ein Stück blau aufblitzen. Wir sahen auch immer wieder Stücke vom Regenbogen, bis wir einen ganzen kurz sehen konnten.

Ich lästerte und meinte, die 90 sind jetzt nur noch 80%, womit ich ein neues Spiel einleitete. Luc berechnete aller Stunden die Prozentzahl. Inzwischen kamen wir bei herrlichen Wanderwetter in Chateaumeillant an, kauften Baguette und hielten Mittagsrast. Dann führte der Weg auf eine Höhe über Felder. Der Wind blies stürmischer von links, wo sonniges Wetter war und weit weg rechts und vor uns war es dunkel. Wir hatten inzwischen die 70% - Marke überschritten. Optimistisch wie ich bin, wettete ich mit Luc 10 km vor dem Ziel, dass, wenn wir nass würden, ich ein Bier spendiere. Er hielt gegen ein Glas Wein, wenn wir trocken blieben. Top- die Wette gilt. Wir liefen in eine Senke, der Wind drehte, wurde heftiger und es wurde richtig schwarz. Kaum hatte ich die Regenkluft an, ging es stürmisch los, dass wir fast vom Weg gefegt wurden. In 45 min waren wir klitschnass. Wir kamen in einen Hohlweg und als wir ihn verließen, war alles vorbei und die Sonne schien. An der nächsten Straße lag eine Stromleitung am Boden und ich dachte nicht darüber nach, was wäre wenn...
Ja das Bier hatte ich verloren, aber meinen Optimismus behalte ich.
Am Ortseingang kamen wir an der ersten Streuobstwiese seit Vezelay vorbei und ernteten den ersten Apfel, der sehr lecker war. Jeder Bauer umgibt hier seine Felder und Weiden mit dicken Hecken, aber die Obstbäume am Wegesrand fehlen hier gänzlich.
Wie kamen nach 32 km in La Chatre an, wo es ein George Sand- Museum gibt. Unsere Unterkunft bei den presbyterianischen Schwestern gehört zu der Kategorie Hauptsache eine heiße Dusche und ein sauberes Bett! Die hat sie zu bieten und wir tranken erst einmal Kaffee bevor wir uns stadtfein machten. Wir suchten eine Bäckerei für morgens und fanden 6 Friseure, 4 Fleischer, 5 Banken und nach einer halben Stunde erst einen Bäcker, aber der reicht uns ja, zumal er 7 Uhr öffnet. 
Dann suchten wir ein Restaurant zum Essen und landeten wieder in einer Pizzeria. Französisch gab es nicht. Soviel Pizzerias hatte ich vor dem Jakobsweg noch nicht von innen gesehen.Ich aß eine Pizza Savoyade: Kartoffeln, Speck, Zwiebeln und Reblochon! Irre lecker. So preiswert wie Kaffee ist das Radler in Frankreich nicht und ruiniert jede Pilgerkasse. 6€ für 0,5l ist schon ein Wiesenpreis. Aber man gönnt sich ja sonst nichts!
Der nächste Morgen ist trocken und wir starten zeitig. Es geht nach Sarazay, eines der südlichsten Loireschlösser, obwohl es nicht an der Loire liegt. Es fand Eingang in einem Buch von George Sand und hat erheblichen Renovierungsbedarf.

Kurz dahinter wird der Himmel schwarz und ich ziehe die Regenklamotten an und dass keinen Moment zu früh. Kaum sind die Schuhe wieder zu prasselt ein heftiger Guss runter und die Feldwege verwandeln sich in Matschpisten.

So laufen wir 10km bis Neuvy-Saint-Sepulchre, wo wir die Stiftskirche Saint Jaques aus dem 11.Jahrhundert besichtigen, die auf der Weltkulturerbeliste steht und die Grabeskirche in Jerusalem zum Vorbild hatte. Eine sehr beeindruckende Rundkirche. In einem Bistro bestellten wir Kaffee und aßen unsere Mittagsbrote. Der Regen wurde nicht viel weniger und so beschlossen wir, auf die Landstraße auszuweichen, weil diese weniger schlammig ist. Autos fuhren hier kaum. Die letzten Kilometer wechselte es zwischen Sonne und Regenschauer und 15 Uhr waren wir schon in Cluis und bezogen eine hübsche, winzige Pilgerherberge.

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