Dienstag, 29. September 2015

Holger kommt,

heut ist der Tag am dem Holger kommt...
Ja es ist soweit, Holger hat sich auf den Weg zu mir gemacht und uns trennten nur noch 2 Etappe.
Von Cluis ging es den direkten Weg über ein wunderbar, langes, nicht mehr genutztes Eisenbahnviadukt nach Crozant, was hoch über dem Zusammenfluss von Creuse und Sedelle liegt. Eine alte Schlossruine thront über dem Wasser und davor steht ein Schild, dass Santiago 1613 km anzeigt.

Die städtische Herberge gehört zur Kategorie " lieblos", aber dort treffen wir einen holländischen Pilger( Barth, 55), der auf dem RÜCKWEG von Santiago ist. Er ist am 9. März zu Hause gestartet und am 5. Juli in Finistere angekommen und meinte, mit Zug, Bus oder Flugzeug zurück, fühlt sich nicht richtig an! Er hat seinen Job gekündigt und hat sich am 6.Juli ( mein Startdatum) auf den Rückweg gemacht. Vollkommen verrückt! Aber sehr interessant.
Abends koche ich Pilgerbratkartoffeln ( mit vielen Eiern, Speck und Käse überbacken) und Luc wäscht ab, Arbeitsteilung wie zu Hause!

Der nächste Tag ist herrlich, es regnet nur eine knappe Stunde und der Weg ist wahrhaftig malerisch. In Crozant ist die Wiege der impressionistischen Malschule und am Weg sind die Entstehungsorte mit Kunstwerk gekennzeichnet. Das Tal der Sedille ist wunderschön. In Chapelle-Balone hat eine Schottin ein gemütliches Cafe und wir genossen bei Tee eine leckere Schokoladentorte.

Über schöne Wanderwege ging es über üppig grüne Wiesen und herrlichen Hohlwegen nach La Souterraine, wo wir fast gleichzeitig mit Holger eintrafen. Wann hat mein Herz das letzte Mal so aufgeregt geklopft? Ich sah Holger an der Straße stehen und fiel ihn in die Arme. Oh es ist so schön, dass er da ist. Ich stellte ihn Luc vor und dann gingen wir spazieren, denn die Unterkunft war erst ab 17.30 offen. Wir entdeckten Samstags eine Stunde vor Ladenschluss eine Schusterin und konnten sie überreden unsere abgelaufenen Schuhe neu zu besohlen. Als sie hörte, dass wir nach Santiago laufen, lies sie alles andere liegen und begann.

So gingen wir auf Socken in das benachbarte Bistro und tranken etwas,bevor wir sie abholten. Es ist so herrlich diese Begeisterung mit zuerleben, die Andere für mich an den Tag legen.
Dann bezogen wir unser Chambre und es war ein Pilgerzimmer mit drei Betten. Luc versuchte uns ein Doppelzimmer zu besorgen, aber es war alles voll. Er machte freche Späße und so nahmen es alle lustig. "Wir machen keine Menage a droite, sondern eine Pelerinage a droite!"
Abends saßen wir alle in einem großen Eßzimmer und bekamen ein wundervolles Menü von unseren englischen Gastgebern mit Franzosen, Engländern, Luc und uns. Das ist Europa!

Am nächsten Morgen war herrlichstes Wetter, das Frühstück war königlich und die Etappe nicht allzuweit, sodass Holger das Pilgerleben als sehr komfortabel empfand. Der Weg führte über kleine Landstraßen und Wanderwege über satte, grüne Weiden, wo das "boef- limousin", die hiesige Delikatesse, weidet. Diese Rinder haben einen schönen warmen Braunton und sehen recht freundlich aus.

So richtig konnte ich diesen Tag aber nicht genießen, denn ich hatte Bauchweh und eine verkühlte Blase, sodass ich häufig in den Büsche verschwand, was für Spott sorgte.
Unser Ziel Benevent- l' Abbaye erreichten wir schon nachmittags. Wir besichtigten die Kirche, tranken Kaffee und bezogen unsere Pilgerherberge, die spartanischer war, aber eine wunderschöne Terrasse mit Blick auf die Kirche hatte.

Der nächste Morgen war wieder sehr
sonnig und unser Weg führte uns in die Wälder und auf Bergrücken. Dazwischen immer wieder Weiden. Auf 722m geht es rauf, bevor wir zu unsere Herberge abstiegen. Diesmal ist es eine Herberge auf einer Farm und es ist ganz idyllisch.
Ich schob zwei Betten zusammen, um Holger an meiner Seite zu haben. Luc stellte noch den Paravent dazwischen und lästerte.

Nach getaner Arbeit saßen wir im Garten in der Sonne unterhielten uns und Holger las die "Zeit".

Am folgenden Morgen war der Himmel grau und ich konnte mein neues Regencape ausprobieren. Ein viel trockeneres Gefühl, was mich sehr erfreut. Das Frühstück war extrem
"petit" und so stand der Tag für Holger unter keinem optimalen Stern. Vor uns lag eine 34 km Etappe und er hatte  schon die ersten Blasen zu versorgen. In Le Chatenet-en-Dogon kauften wir beim Bäcker etwas zu essen und gingen in den Tabac, um etwas dazu zu trinken, denn Picknick- Wetter war nicht. Dann ging es weiter über Landstraßen und Holger humpelte stark. In Saint- Leonard-de-Noblat überzeugten wir Holger für die letzten Kilometer ein Taxi zu nehmen und unsere Rucksäcke mitzunehmen. Gesagt, getan. Luc und ich liefen erleichtert bis zu unserer Herberge und waren froh als wir dort eintrafen. Holger war weniger froh, denn die Herberge ist eigentlich urgemütlich mit alten Balken und Kamin, ABER der Schlafboden ist der Hit! Uralte Metallbetten und Matratzen, dazu ein muffiger Geruch . Der Hygienebereich verdient das Wort Hygiene nicht.

Mich hat der Pilgeralltag abgehärtet und solange ich Desinfektionstücher bei mir habe, ist alles gut.
Das Abendessen kommt und erfordert noch etwas Eigeninitiative, aber die Männer, 2 junge Franzosen, Luc und Holger drängten in die Küche, sodass ich mich an den Kamin verzog und das Öffnen des Weines kümmerte.

Als es dann ans Schlafen ging, zeigte mir Holger tote Kellerasseln, die an meinem Laken hingen. Da war es mit meinem Zweckoptimismus vorbei! Ich schüttlte das Laken aus, legte das Regencape über das Kopfteil und die Isomatte aufs Bett und verkroch mich bis zur Nasenspitze im Schlafsack. Durch die Wärme juckte es mich schon nach ein paar Minuten überall. Ich konnte nicht schlafen und lauschte dem vielschichtigen Schnarchen der Männer und hoffte die Nacht ist bald vorrüber.
Holger schaute nach seine Blasen und die sahen übel aus! Die kleinen Zehen waren nur noch Blase! Trotzdem lief er tapfer nach Limoges. Es waren nur 11km, aber fast alles Asphalt, was es nicht besser machte.
Wir setzten unsere Rucksäcke bei den Schwestern von Assisi ab und machten einen Stadtgang. Dabei hatten wir jeder unser Deja-vu- Erlebniss, dass wir hier schon einmal waren.
In der kleinen Fleischerkapelle entdeckte ich die elektrische Opferkerze. Wie Umweltbewusst doch die Franzosen sind. Die Frage ist, ob eeiß oder bunt!


Wir versuchten vergeblich neue Schuhe für Holger zu finden, aber die Franzosen sind nicht wirklich große "Radonneurs".
Die Schmerzen, das letzte Quartier, die Straße, alles dämpfte Holgers Freude und er stellte fest, dass pilgern nicht sein Ding ist. Ich finde es schade, kann ihn aber verstehen. Umso mehr bin ich dankbar, dass er nicht gleich nach Hause fuhr, sondern einen Pausentag einlegt und dann mit dem Zug hinterher kommt. Vielleicht geht es dann besser.
Also startete ich mit Luc allein in einen sonnigen Morgen bei 5 Grad! Nachts ist es schon richtig kalt. Die Schulkinder die uns begegneten, waren schon dick angezogen und auch ich lief in langen Sachen los, zog aber Mittags den Pullover wieder aus. Wir kamen flott voran, obwohl es immer wieder hoch und runter geht ( abends haben wir über 1000 Höhenmeter auf 30 km gemacht).

Wir passierten kleine Dörfchen ( meist nur 5 Häuser) und die Architektur verändert sich merklich. Die Häuser sehen südländischer aus, also mehr quadratisch, sind aus weiß- gelben Steinen mit dunklen, dicken Holzrahmen und die Dächer sind mit verschiedenen Dachziegeln " geschüppert" gedeckt.( Sachsen wissen was ich meine, ich finde kein anderes Wort dafür.)
Wir verpassten in Auxe-sur-Vienne uns etwas zu essen zu kaufen und als wir es merkten, war es zu spät. Also beschwatzte Luc einen Mann, uns ein paar Tomaten aus seinem Garten zu verkaufen und er schenkte sie uns. Ich fand über einen Gartenzaun hängende Weintrauben und Äpfel. Brot und Studentenfutter hatten wir und so verhungerten wir nicht.
In Flavignac teilten wir uns die winzige Pilgerherberge mit einem französischen Paar, dass auch nach St. Pied läuft und der Sprachenmix war wieder herrlich. Die Herberge besteht aus einem Zimmer von ca 3x3 Metern und es gibt zwei Doppelstockbetten. Alles ist klein, aber die erste " Municipal"(städtisch) die sauber ist. Dies haben wir der Inhaberin eines kleinen Delikatessen-Ladens zu verdanken, die mit ihrem Mann ein Herz für Pilger hat. Sie bietet Pilgern Abendessen und Frühstück in ihrem Wohnzimmer an. Dass sind die Menschen und die Abende die ich so genieße.
Ich telefonierte mit Holger und er hat neue Schuhe und eine schöne Herberge bei dem " maison dicesaine" gefunden. Alles wird gut!

Die Nacht war sehr lustig, denn Luc schnarcht ja gemäßigt, aber Philipp brachte ein 2- Tonarten- Schnarchen zu Gehör, dass schon Seltenheitswert hatte. Ich staunte über meine Abgeklärtheit, denn ich schlief jedesmal wieder lächelnd ein, wenn er es zu sehr intonierte!
Luc war genervt und so kamen wir früh in die Pötte und liefen nach La Chalus, wo viele Türen mit dem Wappen oder Konterfei von Richard Löwenherz verziert waren, der hier an den den Folgen eines Giftpfeiles starb. Im Zentrum selbst war Wochenmarkt, wo wir ein frisches Picknick etwarben, welches wir erst 10 km später verzehren konnten, da vorher keine Bank zu finden war. Diese war an einem See und sehr idyllisch, so dass sich der Weg gelohnt hatte.


Inzwischen habe ich das " Limosin" hinter mir gelassen und bin im "Perigord vert" angekommen und es macht seinen Namen alle Ehre. Mich umgibt ein sattes grün. Wälder, Weiden und Maroni-Bäume-gesäumte Wege. Zu unseren Füßen ein praller Igelteppich voll braun glänzender Maronen.
Auf den Waldwegen knirschen die Eicheln unter den Schuhen und am Rande standen viele Pilze.
Es gibt noch ein "Perigord noir" (dunkelgraue Felsen bei Sarlat) und das "blanc" ( helles Kalksteinplateau bei Perigeux). Die Werbebranche hat noch das "rouge" erfunden ( vom Rotwein).
Noch 10 km trennten uns von Herberge und Holger und als wir ankamen, sah Holger optimistisch aus, was seine Füße betraf!
Die Herberge wird von einer lustigen, singenden holländischen Hospitalera betrieben. Sie ist 2012 den Jakobsweg gelaufen und sie lässt er auch nicht mehr los. Sie wandert und zieht mit ihrem Wohnmobil am Weg und in der Welt herum und schiebt Dienst. Herrliches Zigeunerleben. Abends kocht Hennie uns ein leckeres Essen und wir klönen ziemlich lange. Ihren Leitsatz folgend:" No Vino, no Pelegrino" folgend tranken wir dazu einen leckeren Rotwein, der uns die nötige Bettschwere verlieh.
Am folgenden Tag liefen wir nur eine kurze Etappe nach Thiviers, um Holgers malträtierte Füße zu schonen. So tranken wir schon 15 Uhr auf dem Campingplatz ( hier ist ein Bungalow für Pilger reserviert) ein Feierabendbier. Wir nutzten den Komfort einer Waschmaschine und genossen den Nachmittag in der Sonne.

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