Sonntag, 18. Oktober 2015

Schneckentempo

Ich mutierte über Nacht zur Schnecke! Spanien ist so nah und ich krieche dahin, weil es mit der Blase nur langsam besser wurde. Aber ich habe ja Zeit. Der Morgen war wieder phantastisch. Ich ging 7 Uhr in der Dämmerung zum Bäcker und wenn eine Kleinstadt erwacht, so hat das was. Hier und da gehen Lichter an. Die Fußwege sind noch leer, die Müllabfuhr rumpelte über die Straße, die Laternen gingen aus und als ich auf dem Rückweg war, öffnete das erste Bistro.
Wir starteten wieder in einen sonnigen Morgen und die Magie von Tau, Nebel und Sonne entwarf eine weitere Sinfonie des Herbstes.
Das Lustigste, was ich mit den beiden Holländern erlebe, habe ich noch gar nicht erzählt. Es ist nicht das kulthafte Kaffee kochen nach 7 km sondern das Hunde- Ritual: Jeder Hund kläfft hier, die einen kurz, die anderen lästig lang und mir geht da immer der Herzschrittmacher durch! Aber jetzt nicht mehr! Kläfft ein Hund zu lange, schauen ihn die Beiden an und gehen nach rechts und nach links.Willem ist ein Hühne groß und kräftig, Han eher der sportliche Typ. Dann auf ein Zeichen hin rennen beide gebückt auf den Hund zu und kläffen und knurren zurück! Das ist so urkomisch und jeder Hund zieht den Schwanz ein, weicht aus oder rennt zurück! Ich lache jedes mal Tränen  darüber und bei kleinen Kläffern traue ich es mir auch schon. Es funktioniert!
In Hagtemau bezogen wir schon am frühen Nachmittag die Herberge. Municipal- also eine von der Sorte einfach und lieblos. Aber es gab eine Bank vor der Tür und so konnten wir in der Sonne Kaffee trinken, bevor wir zur Shopping und Sightseeingtour aufbrachen. Abend saßen wir im Sonnenuntergang bei Chilli con carne.
Der Wecker klingelte am nächsten Morgen zeitig, denn vor uns lagen fast 30 km, die ich langsam angehen wollte. Es klappte, dass wir 8 Uhr die Herberge verließen. Der Himmel bot wieder ein phantastisches Spektakel an Licht und Morgenröte mit Sonnenaufgang. Wir liefen aus der Stadt auf eine Anhöhe und als wir oben ankamen, sah ich sie: am Horizont wie ein Scherenschnitt, eine Fatamorgana - die Pyrenäen! Mein Herz machte einen Purzelbaum und die Freude war grenzenlos. Jetzt sah ich wie nah Spanien ist! Der leichte Schmerz in der Ferse war vergessen und auf jeder Anhöhe schaute ich auf die Berge, die mich den ganzen Tag schemenhaft begleiteten.
In Beyries hatte ich die härteste Toleranzübung des Weges. Josef, ein drolliger, alter etwas verwahrloster Mann kam auf uns zu und fragte herzlich nach dem woher und wohin. Er nötigte uns in sein Haus, um uns Kaffee zu kochen.Die Küche war ein Graus, und er stellte angeschlagene Tassen auf den Tisch, löffelte Carokaffee rein und nahm lauwarmes Wasser aus der Leitung. Dabei plapperte er fröhlich auf uns ein. Ich trank den Kaffee und dachte, wenn ich das überstehe, bringt mich nichts mehr um. Er zeigte uns stolz seine Sammlung von Pilgerkarten, die er von Kaffeetrinkern erhalten hat. Sie haben es trotz Kaffeepause geschafft! Das gab Hoffnung. Als wir gingen packte er uns noch 4 halbgute Tomaten ein. Er meint es wirklich lieb, aber....
Wir liefen weiter und fragten an einem Haus, ob wir im Garten pausieren dürften. Es war kein Problem, denn die Eigentümer fuhren eh gerade für 2 Stunden weg. So picknickten wir in der Sonne und ruhten uns 1/2 Stunde auf der Sonnenliege aus.
Übrigens wurde bei meinem letzten Blog der Eindruck erweckt, dass ich mit den Holländern zu viel trinke. Deshalb hier das Beweisfoto, dass dem nicht so ist!

Am späten Nachmittag kamen wir in Ortez an und bezogen einen mittelalterlichen Turm( ehemaliges Hotel de la Lune), komplett für Pilger eingerichtet. Mit Waschmaschine, Trockner, Fön und Butter, Marmelade und Milch im Kühlschrank.Welch ein Luxus, da übersehe ich glatt, dass die Farbe von den Wänden blättert.
Wir duschten und schrieben Tagebuch und ich stellte fest, dass ich exakt nach Kilometer 2500 angekommen bin. Das muss natürlich gefeiert werden! Mit Erdbeerlimo " Cremont de Bourgogne"!
Wir gingen in die Stadt um für das Abendessen einzukaufen und kamen in der Fußgängerzone zum " Catwalk" einer Boutique mit fetziger Lifemusik, sodass wir ein bischen blieben.
Bei angenehmen 20 Grad und bedeckten Himmel war das nächste Ziel Osserain- Rivarethe. Der Weg dahin war abwechslungsreich und kaum waren wir irgendwo oben, ging es wieder runter und immer wieder grüßten in der Ferne die Berge. Unterwegs erinnern immer wieder Reste an alte Pilgerstationen umd Hospitäler. In L' Hopital d' Orion ist eine sehr schöne, schlichte Kirche aus dem 13.Jahrhundert erhalten geblieben und lädt zur Einkehr ein. Ganz in der Nähe steht ein Pilger.

Da Sonntag war, gab es wieder das " Proviantproblem", aber bei einem guten Pilger findet sich immer etwas im Rucksack, und wie sagte schon meine Großmutter:" In der Not ißt der Teufel die Wurst auch ohne Brot" und so kamen wir gut über den Tag. In Sauveterre- de- Bearn, einem sehr hübschen mittelalterlicher Ort mit herrlichen Häusern, Kirche und Stadtmauer,sollte es etwas geben, aber der Ort war Sonntags ausgekehrt! Wir fanden ein offenes Restaurant mit einer wunderbaren Terrasse hoch über dem " gave d' Oloron" und Blick auf die Pyrenäen, aber zu essen fanden wir nichts. Also tranken wir nur etwas, ruhten aus, genossen die Aussicht und liefen 3 km zu unserem privaten Refugio. Das Haus heißt " mon reve ", mein Traum und ist es auch, denn Pascale, der Besitzer unterstützt die Pilger ihren Traum zu leben. Er kümmert sich um die Wäsche und möchte, dass wir uns rund um wohlfühlen. Das Haus selbst wirkt  dunkel und entfaltet seine Schönheit erst auf den 2. Blick. Der Blick aus meinem Kabüffchen ( Kammer am Elternzimmer) weilt auf dem Friedhof, also wird es schön ruhig.
Nach der Dusche entdeckte ich eine Waage und somit war Gewichtskontrolle angesagt. Yippiyeh, yeh, yippi, yippi jeh...die 10 kg- Marke ist geknackt! Da freue ich mich ja auf das Abendessen!
Damit überrascht Pascale sogar den Sternekoch. Im Abendmahl hat er seine baskischen Wurzeln offenbart. Es gibt einen spanischen Port als Apperitiv, danach eine richtig leckere Gemüsesuppe aus Gemüse aus dem eigenen Garten. Zum baskischen Hähnchenschenkeln serviert er Butternudeln mir einem perfekten Tomaten- Paprikagemüse mit viel Knoblauch und einen Rjocha. Der Käse kommt aus der Normandie und der Nachtisch ist ein selbstgemachter Apfelmus mit Zimt und dazu Spekulatius.Am Ende schenkt er mir die restlichen Spekulatuis, weil er sah, dass ich sie lecker fand. So viel Freundlichkeit- Wahnsinn! Ein Hobbykoch mit einem großen Herz für Pilger!
So gingen wir mit einem guten Gefühl schlafen.
Übrigens, auf dem Weg habe ich den ersten Mandarinenbaum in " freier Wildbahn" gesehen. Es gab auch eine Art " Apfelbaum" an dem gelbe Früchte hingen, die wie große Eiertomaten aussahen, welche mir völlig unbekannt sind. Bananenbäume stehen hier neben Palmen und Bambus in jedem Garten. Da merke ich, dass ich recht südlich bin.
Wolkenverhangen erwachte der nächste Tag, aber es war noch immer warm. Am aufgeweichten Weg merkten wir, dass es nachts kräftig geregnet haben muss. Da alles feucht war und uns ein Nieselregen einholte, viel die Kaffeepause aus und wir liefen bis Saint Palais, wo wir im Bistro den Kaffee tranken. Wir kauften für ein Picknick ein und ich gönnte mir mein wohl letztes " pain almond" für lange Zeit. Die Abschiedszeremonie von Frankreich beginnt.
Inzwischen war es wieder trocken und wir liefen auf einen steilen Weg hinaus. In der Mitte gab es das Picknick. Als wir oben ankamen steht auf der Wiese eine gigantische Skulptur aus dunklem Holz, welche wohl das Zusammentreffen der drei Pilgerwege, Via Podensis (von le Puy de Velay), Via Limovicensis ( von Vezelay) und Via Tourensis( von Tour) darstellen. Sie ist von Christian Lapie und heißt laut Schild " Le Reflet du Ciel".
Die eigentliche Kreuzung ist aber weiter unten, an der Stele von Gibraltar, welches nach der alten baskischen Aussprache " Chibaltarem" Treffen heißt.

Aber das wirklich glücksgefühle auslösende Moment, war weder die Eine noch die Andere, sondern der Ausblick! Ringsrum waren plötzlich Berge, ich sehe den Weg vor mir, wie er abwärts und wieder aufwärts führt, dann auf dem Bergrücken weiter geht, um dann dahinter zu verschwinden. Ich kann ihn gehen, bis zum Ende ohne umzudrehen! Ich bin so glücklich.

Es ist wie in den Alpen ( Berge, Kuhglocken...), nur dass an den Häusern keine Geranien hängen und die Fensterläden rotbraun gestrichen sind.
Ich lief runter, ich lief hoch und oben auf dem Bergrücken überliefen mich die Freudenschauer, dass ich Holger anrufen musste, um ihn das zu erzählen und dabei liefen mir die Tränen über das Gesicht! Ganz schön durchgeknallt!
An der " Chapelle de Soyarce" schauten wir rundum ins weite Land, nur die Pyrenäen blieben im Wolkendunst  erahnbar. Über uns ziehen große Scharen Wildgänse, die sich für den Flug nach Süfen formierten und dass war ein interessantes und geräuschvolles Spektakel.
Han wand oben angekommen sein Schweißtuch aus und es tropfte beeindruckend daraus. Der Anstieg hatte es in sich.

Als wir in Ostabat- Asme einlaufen begann es wieder zu regnen. Wir schlüpften in die erste Bar und tranken ein "Panache", bevor wir unter der Regencapes verschwanden und noch einen Kilometer bis zur Herberge liefen, wo das tägliche Ritual begann. Das die Wege zusammenlaufen, merkten wir daran, dass abend beim Essen 15 Pilger saßen! Bisher waren wir mit wenigen Ausnahmen unter uns. Draußen goss es inzwischen in Strömen. Glück gehabt!
Abends wurden wir von unseren baskischen Gastgebern bekocht und erhielten als Entree und zum Dessert ein baskischen Chanson vom Chef persönlich. Den Refrain mussten wir dann alle mitsingen " Auf dem Weg nach Santiago ". Es ging mit Sangria und navarrischen Rotwein lustig zu.

In der Nacht hat es durchgehend geregnet und so beginnt mein 100. Tag regengrau. Die Wege haben sich in Matschpisten mit Schmierseife verwandelt und ich bin froh meine Stöcke dabei zu haben. Es geht aber gut voran und ich genieße es, wieder völlig schmerzfrei zu laufen. Der Weg führte auch durch Schafherden und dabei stellte ich fest, dass diese die Glocken um den Hals haben und nicht die Kühe.

Das Wetter sieht den ganzen Tag wacklig aus, aber es hält durch. Pause machen wir erst in Saint-Jean-le-Vieux und dann im Sturmschritt nach Saint-Jean-Pied-de-Port. An der" Porte Saint Jaques wird das Zielfoto genommen und dahinter befindet sich schon die Herberge
Wir sind schon 13.10 Uhr da und das wird statistisch erfasst. Am Fließband wird nach Name und Nationalität gefragt.10€ in die Kasse und Quittung und Bettennummer ausgeteilt! Ich habe die 114 und das ist ein Bett unten in einem 16-Mann- Zimmer! Duschen ist noch nicht, da der Klemptner gerade da ist. Aber da kommt Janina ins Spiel. " Die Mutter der Pilger" , wie sie sich selbst nennt ist ca. 80 und kocht uns einen Kaffee und plappert fröhlich los.
Heute ist mein letzter Abend in Frankreich und mein letzter Abend mit Willem und Han, denn die Beiden fahren morgen mit dem Zug nach Biarritz, wo ihre Wechselsachen  deponiert sind. Nach ein paar Ruhetagen werden sie meiner Spur folgen. Also Freude und Abschied dicht beeinander!

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