Donnerstag, 2. Mai 2024

Die erste Etappe ist geschafft

 In Paris habe ich einen wunderschönen Nachmittag/ Abend verbracht und bin tief in das " La Vie Francaise" eingetaucht, natürlich mit Pain aux chocolate und escargot de raisan. Das Hotelzimmer hatte die Größe eines Bettes plus Dusche vor dem Bett und WC hinter dem Bett. Der Preis war unter 100€, also ein Schnäppchen. Ich war überrascht, wie sich Paris für die Olympischen Spiele rausputzt. Überall entstehen mobile Stadien, sogar direkt hinter dem Eifelturm, dessen Areal man nur durch Sicherheitsschleusen und mit Eintrittskarte betreten kann. Die Preise wurden auch angepasst. Trotz Regen stehen jede Menge Souvenirverkäufer an den Ecken und beschwatzen die Touristen. Mein Wanderoutfit  erspart mir diese Geschäfte, ich bin für die Verkäufer "unsichtbar." Sehr angenehm.








Da es wieder zu regnen beginnt kürze ich meine Sightseeing - Tour ab und bin schnell im Hotel.

Gestern weckte mich 6 Uhr der altertümliche, knarzende und scheppernde Fahrstuhl, der direkt neben meiner Tür / Bett hält und so bin ich schon früh am Bahnhof und bin ganz nervös, weil ich keine Infotafeln finde auf der die Bahnsteige ersichtlich sind. Ich atme tief durch, es sind noch 2 Stunden und kaufe mir erst einmal Frühstück. Dann setze ich mich in ein Bistro, lese und beobachte. 

Eine Frau spricht mich an, es ist Asme aus Kenia, die auf den Camino frances will. Wir klönen ein bissel und ich merke, meine Duolingo- Lerneinheiten helfen. Bin so stolz auf mich.

Im Zug fahre ich durch dicke Regenschauer und komme auch im Nieselregen in Hendaye an. Ich laufe nach dem gelben Outdoor - Führer und verlaufe mich sofort, da ich eine " Unterführung" nicht mit einer Brücke gleichsetze. Ein Spanier eilt mir zu Hilfe und lotst mich zu einem Hotel, wo ich nicht hin wollte. Ich bedanke mich, frage Google nach einer im Führer erwähnten Kirche und finde sie. Von da laufe ich wieder richtig und merke, dass ich mich in die Beschreibung erst einmal eindenken muss.



Vor der Pilgerherberge steht schon eine große Schlange und ich bin die 16. Zum Glück gibt es 3 x 20 Betten, welche auch abends tatsächlich voll sind. Mich überkommt Panik, denn die nächste Herberge ist 18 km entfernt, hat aber nur 14 Betten und bis San Sebastian sind es 28 km. Eigentlich kein Problem, aber der Pilgerführer spricht von extrem steilen Gelände, Trittsicherheit, Gefahr bei Nässe... Ich vertraue nicht meinen Fähigkeiten, sondern lasse mich verunsichern.  In San Sebastian gibt es keine Pilgerherberge und ich habe, wegen der beängstigenden Beschreibung erst für morgen ein Bett in einem Hostel im 8- Bett- Zimmer gebucht. Ich bin ziemlich nervös. 

Pilgerlektion 1: Anreise am Feiertag ist ungünstig!

 


In der Herberge geht es lustig zu. Alle beäugen sich, schnuppern und bleiben für sich. Eine junge Frau wendet sich vertrauensvoll an mich und so lerne ich Angela aus Berlin kennen, die ihren 1. Camino läuft.

In der Anmeldung spiele ich die " Alterskarte" aus und bekomme ein Bett unten. Ein wenig spanisch hilft dabei. Nachdem ich mein Bett bezogen habe, schüttet es  wieder, sodass ich nicht mehr rausgehe. Kaffee, Apfel und Reiswaffeln sind mein Abendbrot und dann gehe ich früh ins Bett. Doch an Schlafen ist nicht zu denken. Ein kommen und gehen, schnattern, rascheln und dann wird doch noch das Bett über mir vergeben. 22 Uhr kehrt kurz Ruhe ein und dann schnarchen die Frauen neben mir, über mir und in 2. Reihe vierstimmig. Ich höre Musik, allerdings übertönt der Geräuschpegel, lese und 3 Uhr bin ich so müde, dass ich endlich einschlafe. 6 Uhr rascheln die Ersten und so stehe ich 6:30 Uhr auf, schütte mir kaltes Wasser ins Gesicht und erkenne mich langsam hinter den dicken Augenringen.

Da ich gestern nicht viel gegessen habe, kann ich sogar frühstücken. Es gibt zwei Pötte Kaffee, 1 Toast und 2 kleine Madleines für jeden.

Es regnet, ich ziehe kurze Hosen an, Regencape und los geht es. Frische 9° lassen die Müdigkeit verschwinden. Ich komme nach Hondarriba, der schönsten Stadt des Baskenlandes, doch es ist noch alles geschlossen und regengrau. Die Häuser sind wirklich sehr schön. Ich laufe am Parador- Hotel vorbei und gehe hinein, um mir den mittelalterlichen Bau kurz anzuschauen und mir einen Stempel zu holen.



Als ich aus dem Ort laufe, hört der Regen auf. Es geht steil bergauf aus dem Ort heraus. Dann komme ich auf die kürzere Variante und der Weg wird voller. Am Berg läuft es sich gut, ein bissel schlammig, aber machbar. 

Vor mir sehe ich die Kirche Guadeloupe auf dem Berg und rechts das erste Mal das Meer. Ich komme klatschnass geschwitzt oben an und setze mich hinein, um die Losung zu lesen und ein Danke zu singen. Ein Stempel ins Heft und weiter geht es.


Nun gibt es zwei Varianten: eine am Hang und eine über den Kamm. Viele laufen die leichtere Variante, doch ich gebe mir die Kante und laufe steil bergauf, einen rutschigen, nassen, schlammigen Weg und so sind die Schuhe eingeweiht.



Der Aufstieg ist schweißtreibend, die Ausblicke aber einfach gigantisch. Es geht direkt über Pferdekoppeln und ich halte die Luft an und versuche den Bogen etwas weiter zu laufen. Sie schauen aber nur lethargisch und lassen mich ziehen. Ich überhole einige Pilger, freue mich. Als keiner in Sichtweite ist, jauchze ich, drehe mich im Kreis und bin einfach nur glücklich. Pilgerglück pur.


Oben auf dem Alleru stehen alte Wachtturmreste und es geht ein ganzes Stück hoch und runter auf geringem Niveau. Hier ist auch ein großer Parkplatz und ein paar Spanier begegnen mir wandernd.

Dann geht es steil bergab und ich muss schauen, dass ich nicht rutsche. Später führt eine Straße ziemlich steil nach Pasaia hinunter und ich jogge ( wie immer an steilen Straßen) in Serpentinen herrunter. Dabei überhole ich ein paar Pilger und habe die Lacher auf meiner Seite.

Pünktlich zur Mittagszeit bin ich in Pasaia und laufe zur Pilgerherberge. Ich bin die Erste am Ziel. Ich merke, dass ich mich völlig kirre machen lassen habe. Die nächsten 12 km würde ich noch schaffen, aber mein Bett habe ich erst morgen dort. Wer weiß wozu es gut ist. Langsam angehen, ich habe ja Zeit. Außerdem laufen heute viele vorbei und so entspannt es sich wahrscheinlich in den nächsten Tagen. Deshalb setze ich mich vor die Herberge in die Sonne. Nach und nach kommen weitere Pilger aus Korea, Japan, Kolumbien, Deutschland...Wir kommen alle ein bisschen ins Gespräch und 14 Uhr sind wir schon die 14 Leute, die hier heute ein Bett bekommen. 

Ich habe sie alle irgendwie überholt, obwohl ich als Einzige hier über den Kamm gelaufen bin.

Allerdings ist die Kolumbianerin schon 80. Es gibt noch eine ältere Dame, alle anderen sind wohl etwas jünger. Brigitte (Jahrgang 53) läuft das erste Mal und erzählt mir, dass ihr Sohn sie mit dem Bus begleitet, weil er im Moment Hüftprobleme hat. Wir unterhalten uns nett und sie ist froh, dass ich bei ihr bin und ein paar Herbergs-  Gepflogenheiten erklären kann. So beeilt auch sie sich mit dem Duschen, denn je eher desto sauberer sind sie bekanntlich.



Pünktlich 16 Uhr öffnet die Herberge und die Chefin erklärt, dass es nur 14 Betten gibt und schickt alle anderen in die nächste Herberge ( 1,5 Stunden zu laufen) oder in eine Pension im Ort zu ihrer Freundin Silvia. 

Nach dem Duschen und Wäsche rauslüften Versuche ich ein bisschen vorzuschlafen, da die schnarchende Koreanerin auch wieder hier ist. Allerdings habe ich mir Ohrstöpsel besorgt.

Mit einem lauwarmen Kaffee und einem Müsliriegel setze ich mich in die Sonne und telefoniere mit Holger. Dabei genieße ich diesen herrlichen Ausblick.



Donnerstag, 25. April 2024

Ich kann es nicht lassen

Der Pilgervirus hat mich bekanntlich 2015 infiziert und seit dem wandere ich, sobald ich Zeit habe und erschließe mir so Landschaften/ Länder auf eine ganz eigene Weise. Holger konnte ich inzwischen auch dafür gewinnen. (Unsere Urlaube in den letzten Jahren verbrachten wir auf Pilgerwegen.) Dabei ist für Holger die erste Woche okay, die Zweite läuft und nach der Dritten reicht es auch wieder.

Bei mir ist es dagegen so, dass ich eine Woche zum Abschalten brauche, in der Zweiten sich die Routine festigt und es ab der Dritten läuft es, sodass ich nicht mehr aufhören möchte.

Der Camino del Norte faszinierte mich schon vor meiner ersten Pilgerwanderung. Ursprünglich wollte ich diesen mit meiner großen Schwester zu ihrem Renteneintritt laufen, um uns fit zu halten. Nun hat sie ihr Rentnerdasein begonnen und ihr fehlt der Mut, die Kraft oder einfach die Überwindung sich auf den Weg zu machen. Ich habe versucht ihre Argumente zu entkräften, aber ihr macht meine Fitness Angst und so möchte sie sich nicht aus der eigenen Komfortzone wagen. Vielleicht ist es aber auch der lange Zeitraum, der sie verunsichert, denn solange ist sie noch nie gewandert. Den portugiesischen Weg ist sie schon erfolgreich gepilgert. Doch die Nordroute ist ein anderes Kaliber. Schade, ich hatte auf eine schöne Schwesternzeit gehofft. Doch ich möchte unbedingt am Meer laufen.

Zum Glück gönnt mir mein Lieblingsmensch auch allein eine Auszeit und ich habe zwei Monate Zeit auf dem Camino del Norte zu pilgern. Yippi!Yeh! 

Allein werde ich starten und drei Wochen später, wahrscheinlich in Gijon, kommt mein Pilgerfreund Benjamin dazu. Wir werden gemeinsam nach Santiago de Compostela und Finesterre pilgern. Was für ein Projekt! Es wird uns zeigen, ob wir noch im Gleichmass laufen und wir unser ganz großes Pilgerprojekt für 2025 weiterspinnen.

Die Vorfreude wächst von Tag zu Tag und die Wandersachen, neue Wanderschuhe und der Rucksack liegen schon bereit. Eine Buchliste ist online angelegt, sodass ich genug Lesestoff ohne Gewicht dabei habe. Hoch lebe die Technik! Außerdem musste auch noch ein neues Handy her, weil mein Akku schwächelte. Das ist nun eingerichtet und so langsam verstehe ich die Bedienung. Nun sollten auch tolle Fotos entstehen, denn die Kamera ist eine bessere.

Jetzt gilt es nur noch ein wenig den Haushalt zu organisieren und die restlichen Vorbereitungen zu treffen. Die Anfänge sind schon seit einer Woche im Wäschekorb.

Ich träume schon jede Nacht vom Pilgern, bin unruhig, hibbelig und gespannt. In der letzten Zeit habe ich einige Bücher von Weitwanderern gelesen, den Camino- Podcast gehört und jetzt möchte ich sehen, ob sich wirklich soviel verändert hat. Wer ist unterwegs, mit welchen Problemen habe ich diesmal zu kämpfen, gibt es genug Herbergsplätze, finde ich den Weg oder sind die Umwege wieder meins. Fragen über Fragen und eine unbändige Neugier lassen die Tage verfliegen.

Nun bin ich schon einen Schritt weiter und habe alle Sachen soweit schon einmal verpackt und gewogen. Bei jeder Zahl auf der Waage habe ich noch einmal in mich hineingehört und mir die Frage gestellt: Brauchst du das wirklich oder ist es doch ein wenig "Luxus"! Dadurch sind noch ein paar kleine Dinge wieder zurück in den Schrank gewandert und schon etwas Gewicht gespart. Mein Ziel sind 8 kg Rucksackgewicht ohne Essen und trinken. Also heißt es die Kleidung drastisch zu reduzieren ohne zum "Stinktier" zu mutieren.

 

Die großen Weitstreckenwanderer sind ja stolz auf ihre Hygieneexperimente, aber eine Unterhose fünf Tage zu tragen ohne waschen und sich selbst zu duschen, sind für mich einfach nur eklig. Ich werde also nie einen solchen Trail in Angriff nehmen.

Doch bei aller knapper Kalkulation ist die Kleidung im Verhältnis noch das Leichtere. Inzwischen habe ich festgestellt, dass ich am Anfang fast ein Kilogramm "Verbrauchsgüter" mitschleppe. Nicht nur Sonnencreme und Bettwanzenspray, sondern auch eine große Tüte Dauermedikamente, die ich inzwischen einnehme und wo mir die Ärtztin von einer Absetzung abriet. Ja, das Alter fordert seinen Tribut, aber am Ende wird es also viel leichter. 


Als alles im Rucksack verstaut ist, wiegt dieser 7800 Gramm! Hurra, Ziellinie erreicht!

Am Montag wird der Rucksack endgültig gepackt ( am Wochenende sind wir noch auf Wandertour mit unserer Wandergruppe) und am Dienstag Nachmittag bin ich schon in Paris! Am Mittwoch in Hendaye und am Donnerstag starte ich die erste Etappe von Irun aus.

Ultreia e buon Camino!