Dienstag, 15. September 2015

Halbzeit


Ja ich bin weitergelaufen, aber vorher hatte ich noch ein Erlebnis der besonderen Art. 7 Uhr war Lauden, eine gesungene Messe der Brüder und Schwestern. In weißen Kutten knieten sie in der riesigen, schlicht gehaltenen, fast weißen, hohen Basilika und sangen mit so zarten Stimmen allein, in der Gruppe oder allen zusammen und die Töne schwebten zur Kuppel empor.Es war So berührend, dass ich Gänsehaut hatte. Am Ende bekamen wir Pilger den Segen.

Nach dem Frühstück ging es auf nach Le Chemin. Ich lief mit Luc und Frank gemeinsam, was den Vorteil hat, dass ich mich nicht mehr verlaufe, denn Frank ist ein echter Kartenfuchs. Die Landschaft ist hügliger und kleinteiliger geworden, der Wein verschwunden und dafür gibt es viel Weide mit Kühen. Es geht bergauf und bergab, aber wesentlich gemächlicher als an der Mosel. An einer Mauer in der Sonne wärmten sich Eidechsen und als unser Schatten sie traf, verschwanden sie in den Mauerritzen.

Morgens war zäher Nebel und es war schon recht frisch. Mittags schaffte es dann die Sonne und wir hatten einen herrlichen Wandertag und viel Spass, da Luc auch ganz gut austeilen kann.
Ein neues Kuriosum fanden wir in Bazoches du Morvan. Es stand am Ortsanfang, dass es ein Restaurant, einen Lebensmittelladen und einen Bäcker gibt. Wir fanden nur das Restaurant und als wir fragten, wurde uns erklärt, dass dort alles ist. An der Theke gab es 2 Sorten Baguette, Dosen aller Art, Reis, Nudeln und Getränke. Super! Wir kauften Brot und Pate und setzten uns direkt vor das Restaurant und picknickten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so etwas igendwo in Deutschland gibt.
Ich unterhielt mich mit Luc der schon 65 ist, über seine Beweggründe zur Pilgerschaft und lernte ihn dabei etwas näher kennen.
Wir waren früh in der Pilgerherberge, die von Holländern betrieben wird und noch im Aufbau ist.Leider ist auch hier Handwäsche angesagt! Aber Hose und Jacke warten auf eine Wäschmaschine. Also beginnt langsam der Prozess der Verwahrlosung. Ja was soll ich tun. Irgendwo finde ich noch eine und bis dahin bitte mit Flecken.
Dafür werden wir bekocht. Ich bin ja nicht so für das Scharfe und so hatte ich beim und vorallem nach dem Essen ein Problem- Bauchweh!

Ich hatte trotzdem gut geschlafen und das Defizit der letzten Nacht aufgeholt. Nach dem Frühstück ging es los und ich hatte den Weg vollständig den Männern überlassen. Sie hatten zwei Abkürzungen gefunden, damit die Tour nicht zu lang wird. Die erste klappte super, die Zweite ging von einem schöner Weg, in einen schmaleren über und endete im Dickicht. Wahrscheinlich haben die Römer ihn noch benutzt und seitdem steht er in der Karte! Uns blieb nichts anderes übrig, als über zwei Weidezäune mit Stacheldraht zu klettern. Luc und ich entschieden uns für die Variante oben drüber, Frank für unten durch.

In Corbigny kauften wir Proviant und setzten uns in ein Straßenkaffee auf ein zweites Frühstück. Die Sonne setzte sich durch und es wurde nochmal richtig warm, sodass die Hälfte der Strecke schweißtreibend war, denn wir liefen über offene Felder. Am Friedhof von Prelichy gab es eine Bank im Schatten, wo wir Mittagsrast hielten. Dann liefen wir durch bis Saint Reverin, wo uns eine einfache Gemeindeherberge erwartete. Ich hängte die Wäsche mitten auf den Dorfplatz und stellte Tisch und Stühle raus und so genossen wir das schöne Wetter und beratschlagten den nächsten Tag.
Abends aßen wir dann auch mitten auf dem Platz und tranken 2 Flaschen Wein und klönten herrlich. Wir waren uns alle einig, dass so etwas nur in Frankreich geht. Auf dem öffentlichsten aller Plätze eines Ortes ein " Pilgergelage".
Übrigens, dass Rathaus beherbergt das Rathaus, die Schule, die Post, eine Mietwohnung und die Pilgerherberge! Auf dem Foto ist die " Dimension" sicher erkennbar.

Am nächsten Morgen klingelte der Wecker um 6.30Uhr, denn 7 Uhr wollten wir frühstücken und ich war dafür zuständig. Pünktlich saßen wir am Tisch und danach ging es los. Zuerst über Landstraßen, die auch mal befahren waren (Einsamkeit ist vorbei) und dann auf Nebenwegen durch kleine Orte bis Premery. Dort gibt es auf dem Campingplatz einen kleinen Wohnwagen für Pilger. Wir stellten die Rucksäcke ab und wollten die Waschmaschine benutzen, doch uns fehlten die Jetons und die Rezeption ist erst abends besetzt. Also fragten wir die anderen Camper. Keiner hatte welche, aber eine nette Holländerin lieh uns ihre Handwaschmaschine und ihre Schleuder und Luc und ich wuschen unsere Wäsche auf Großmutterart.

Dann liefen wir in den Ort um Mittag zu essen( Plat de Jour):. Ein Dreigangmenü mit Wein, Wasser und Kaffee für 14€. Da kann man nichts falsch machen. Wir rüsteten uns mit Wasser für den 2. Teil des Tages, denn wir wollten ohne Gepäck noch 10 km weiter laufen, damit es morgen keine Mammuttour wird. Bei 28 Grad luef es sich ohne Gepäck schon fast von allein. In einer Auberge tranken wir ein Radler, bevor es per Anhalter zurück zum Campingplatz ging. 

Die Nacht in dem kleinen, kuschligen Wohnwagen entpuppte sich als richtig kalt. Es ging auf 6 Grad runter und ich kuschelte mich tief in meinen Yeti. Am Morgen brauchten die Herren 1/2 Stunde länger als ich, ehe sie Abmarschbereit waren. Wir liefen zum Bistro zum Frühstück und fuhren dann mit dem Bus nach Poiseux, und begannen dort unsere Etappe.
Der Weg führte wieder über kleine Dörfer und überall gibt es ein Herrenhaus oder ein Schlösschen. In jedem Garten kläffte mindestens ein Hund, aber der Trend zum Zweit-oder Dritthund ist deutlich erkennbar. Ich hatte also viel Spaß. Einmal mußte ich mich entscheiden, ob ich mich vom Auto überfahren lasse ( weil ich den Bürgersteig verlassen mußte) oder vom Hund vollkläffen lasse ( der Bürgersteig war recht eng). Ich entschied Ersteres, aber der Autofahrer bremste. Glück gehabt.
Frank hatte eine schöne Abkürzung über einen Forstweg gefunden und der Wald war wirklich sehr schön. Er erinnerte an heimische Wälder.Die Sonne zeigte sich nich einmal mit vollen 26 Grad und so hatten wir herrlichsten Wetter zum laufen.

In Nevers kamen wir am frühen Nachmittag an und besuchten die Kathedrale Saint Cry et Sainte Juliette, wo ich ein Licht für Agata und eins für Charlotte entzündete, denn sie hatten heute Geburtstag. Vor dem Palais Ducal machten wir ein Abschiedsfoto, denn Frank hatte beschlossen eine andere Übernachtung zu suchen, weil die unsrige, reservierte noch 2,5 km außerhalb vom Zentrum war. Luc und ich liefen zu den Schwestern und bezogen unsere Zimmer.  Wir gingen zur Abendandacht und lauschten dem Gesang der 8 Schwestern, die hier ihren Dienst tun.
Wir bekamen ein üppiges Abendbrot und alles war für 3 Personen vorbereitet. Das war uns peinlich und so bezahlten wir einen Anteil von Franks Essen mit, damit den Verlust die Schwestern nicht allein tragen. Leider hatte Frank es versäumt selber abzusagen.

Ja und heute war der historische Tag der Halbzeit meiner Pilgerreise. Hinter mir liegen 1736 km und vor mir liegen 1730 km. Ob es jetzt tatsächlich exakt die Hälfte ist, kann ich natürlich erst am Kap Finistere wissen. Aber die Vorstellung davon lebt in mir.
Wer hätte das gedacht, dass ich das schaffe, immer noch jeden Tag froh gelaunt starte und jede Stunde des Tages genieße, mich an der Umgebung und an den Menschen freue und soviele Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse sammel. Mein Körper hält zu mir und wird gut gepflegt, damit er nicht den Dienst quittiert. Ich bin inzwischen so "wettergegerbt", dass ich keine Sonnencreme mehr brauche und ich weiße Lachfältchen habe. So braun war ich noch nie! Das Vagabundenleben bekommt mir ausgezeichnet!! Nun hoffe ich, dass der zweite Teil so spannend bleibt und ich noch vielen, offenen Menschen begegne, die mit mir das Pilgerleben teilen oder es bereichern.

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